Das elfte Gebot
damit die Wohltaten des ersten Gebotes auch anderen begreiflich gemacht werden konnten. Die Kollekte würde sie sicher nicht reich machen, doch mochte sie schon ganz beachtlich ausfallen, betrachtete man die Größe der Versammlung.
Der letzte Psalm klang schon wesentlich besser. Die Stimmen klangen voller und inniger. Boyd wartete, bis das Lied zu Ende war, wonach er sich gerade erheben wollte.
Die Lichter gingen aus, die Stimme des Priesters klang sanft in der Dunkelheit. „Gott segne euch, meine Kinder.“
Suchende Arme umschlangen ihn, und er spürte einen sanften, zärtlichen Atem in seinem Nacken. Automatisch schloß er seine eigenen Arme, und Ellens Lippen preßten sich gegen die seinen – dieses Mal nicht kalt, sondern offen, suchend und fordernd.
Zum Teufel mit dem Priester, dachte er. Diese Kerzen hatten eine Art stimulierendes Aroma enthalten, und in dem Wein war offenbar ein Aphrodisiakum enthalten gewesen. Er durfte die Situation nicht einfach ausnützen.
Er schüttelte Ellen sanft und versuchte sie zur Vernunft zu bringen. Sie stöhnte leise und rückte näher, dann entfernte sie sich wieder und glitt von dem Stoffballen herab, auf dem sie gesessen hatte. Boyd vergaß seine guten Vorsätze. Sein ganzer Körper stand in Flammen, als er sich zu ihr hinuntersinken ließ.
Die Umklammerung ihrer Gliedmaßen löste sich langsam, das Stöhnen in ihrer Kehle erstarb zu einem sanften Seufzen. Als er sich widerstrebend zurückzog, folgte ihr Kopf ihm, und er spürte einen letzten, sanften Kuß. Dann war sie verschwunden. Er hörte noch andere Bewegungen um sich herum in der Dunkelheit, während er nach seinen Kleidern suchte und sich anzog. Dann tastete er sich taumelnd den Korridor entlang, und gelegentlich stolperte er über einen Stoffballen. Auch andere Leute tappten umher, wenn auch nicht durch den Korridor. Scheinbar waren nicht alle restlos von ihren ersten Partnern befriedigt worden. Schließlich fand er eine Tür mit einem Vorhang, hob diesen an und schlüpfte ins Freie, wobei er gleichzeitig die dünne Stoffmaske von seinem Gesicht riß. Kühle Nachtluft wehte ihm ins Antlitz.
Ellen erwartete ihn, und er fühlte, wie ihm eine heiße Röte in die Wangen stieg und wandte den Blick von ihr ab. Doch sie kam völlig ungezwungen auf ihn zu. Nur die dunklen, feucht schimmernden Tiefen ihrer Augen und ihre vollen Lippen zeugten davon, daß sie ein Teil der Dunkelheit dort drinnen gewesen war. Lächelnd nahm sie ihn bei der Hand und wandte sich mit ihm der erleuchteten Straße zu, die sie zurück zu ihren Zimmern fuhren würde.
„Nach einem solchen Treffen steigt die Zahl der Beichten sicher sprunghaft an“, meinte er.
Sie lächelte ihn schalkhaft an. „Was nicht sündig ist, darüber muß man auch nicht beichten, oder, Boyd? Und vergiß nicht, alles war Teil einer religiösen Zeremonie.“
„Gewiß. Und wenn du jemals eine solche Zeremonie ohne mich besuchst, dann …“
Dieses Mal war ihr Lächeln spitzbübisch. „Dann? Was könntest du tun, wenn ich es machen würde? Ich könnte jede Woche hingehen.“
„Ich werde dir dort, wo dein Kleid am engsten ist, solche Schwellungen verpassen, daß du ganz bestimmt nicht hingehen kannst!“ sagte er ihr, und er bemühte sich erst gar nicht, spaßig zu klingen.
„Ich bin nicht dein Eigentum, Boyd Jensen“, erinnerte sie ihn. „Ich kann tun, was ich will. Ich muß dich nirgendwohin mitnehmen!“
Das war nur zu wahr, wenn er es auch schon fast vergessen hatte. Er murmelte etwas vor sich hin, bemüht, mit seinen Gedanken ins reine zu kommen. Das Hochgefühl, das er kurz nach der Zeremonie verspürt hatte, war verschwunden. Er dachte an all die anderen Gelegenheiten, bei denen sie schon dort gewesen war. Wie oft? Und hatte sie einen Partner mitgenommen, oder hatte sie einfach blindlings auf ihr Glück vertraut? Aber eigentlich ging ihn das gar nichts an.
„Tut mir leid“, sagte er schließlich.
Sie ließ es zu, daß er wieder ihre Hand nahm, und schon nach wenigen Minuten lachte sie wieder fröhlich.
Sie kamen an einem Stand vorüber, der immer noch geöffnet war. Dort wurden ein heißes Getränk und Kekse verkauft. Einen halben Block weiter blieb sie stehen. „Ich bin hungrig, Boyd, und es ist noch früh am Tag. Gehen wir essen.“
„In Ordnung“, stimmte er zu. Plötzlich war auch er hungrig. „Kaufen wir von allem etwas und gehen in meine Wohnung; dort können wir …“
Das Geräusch ihres Atems ließ ihn sie ansehen, und als er den
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