Das elfte Gebot
Stoffschirmchen, die alle durch Leitungen, die in einem Punkt zusammenliefen, verbunden waren. Neben ihnen war eine kleine Bühne mit einem Tisch und einer kleinen Orgel. Der Hauch von Ehrfurcht, den Boyd beim Betreten der Halle verspürt hatte, fehlte hier völlig. Er fühlte sich unbehaglich und irgendwie fehl am Platze. Daran änderte sich auch nichts, als die Frau, die sie begrüßt hatte, begann, auf der Orgel zu spielen. Jeder fiel in den Psalm ein, doch ohne wirkliche Führung. Die meisten der Leute wirkten noch relativ jung, zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig, von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Dann ging plötzlich ein Mann im Gewand eines Priesters zu dem Tisch und begann ein Gebet. Auch sein Gesicht war unter einer dünnen Maske verborgen, und seine Stimme klang dünn und fiepsig, wie die eines Jungen, obwohl er sich sehr bemühte, ihr jene Resonanz zu verleihen, an der es ihr noch fehlte.
Danach setzten sie sich zurück, und die Predigt begann. Sie war sehr unbeholfen, und er begriff nicht ganz, was die Kernaussage war. Schließlich verhaspelte der Redner sich vollkommen und hörte auf zu sprechen. Er schwieg, offensichtlich sehr stark schwitzend, und zündete zwei Kerzen an, bevor er weitersprach. Danach ging es besser, und Boyd merkte, wie eine leichte Freude von dem Jungen Besitz ergriff. Die Kerzen verströmten einen seltsamen Geruch, der ihm allerdings nicht unangenehm war.
„Und daher bezeichnen wir uns selbst gern als Kinder des Ersten Gebotes“, schleuderte der Priester, der sich langsam für seine Ausführungen zu erwärmen begann, ihnen entgegen. „Denn das erste Gebot ist das wichtigste, nicht das elfte. Und wann wurde dieses Gebot verkündet? Ich werde Ihnen sagen, wann. Ich werde es direkt aus dem Buch vorlesen. Kapitel eins, Vers siebenundzwanzig: ‚Und Gott schuf die Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er sie; und schuf sie als Mann und Weib. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch Untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Da haben wir es, bevor Er sie vor dem Baum warnte. Sie waren nicht verheiratet, doch Gott erwartete von ihnen, daß sie sich vermehren sollten. Denn das ist die Pflicht eines jeden Mannes und einer jeden Frau, nicht nur diejenige derer, die im Bund der Ehe vereinigt sind. Das einzige andere wichtige Gebot ist, nicht ehezubrechen. Denn die, die das Sakrament der Ehe empfangen haben, müssen es heilighalten. Doch das erste Gebot kommt zuerst!
Und welches ist der Eckstein des ganzen christlichen Glaubens? Es ist dasselbe Gebot: ‚Liebet einander!’ Nur das. Brüder sollten einander mit brüderlicher Liebe und Schwestern einander mit schwesterlicher Liebe, Paare mit paarlicher Liebe lieben.“
Boyd konnte nicht viel über die Logik dessen sagen, doch er begann, sich an der Sache zu erfreuen. Andere um sie herum nickten bei den Worten des Priesters, sie alle schienen sichtlich aufzuleben, als der Geistliche mit einer Tirade gegen die unrechten Bande, mit denen das herrschende Establishment die Religion eingrenzte, loslegte. Wahrscheinlich wollten sie so fühlen. Offensichtlich waren diese Treffen nicht so wichtig, wie Ben dies ihm gegenüber erwähnt hatte. Sie kamen hierher, um sich in ihren Ansichten bekräftigen zu lassen, oder einfach nur, um einen Partner zu finden. Vielleicht würden sie mit ein wenig sündigeren Absichten davongehen, wenn das Treffen zu Ende war, doch Boyd bezweifelte es.
Er fühlte die großen Brüste in seinem Rücken, und gleichzeitig flüsterte eine Stimme ihm zu: „Halten Sie diese Tasse, bis der Priester zum Trinken auffordert.“ Die Frau gab auch Ellen eine Tasse, doch gelang es ihr, diese ohne eine große Annäherung zu überreichen.
Wenige Minuten später hob der Priester einen kostbaren Pokal und zitierte etwas in lateinischer Sprache. „Trinkt von den Früchten der fruchtbaren Erde“, befahl er und hob seinen eigenen Pokal wieder. Er schien leer zu sein.
Boyd hob die Tasse an seine Lippen und nippte daran. Es war eine Art Wein, doch er mochte das Aroma nicht, und es gelang ihm, den größten Teil unbemerkt wieder auszuspucken. Er wandte sich um. Ellen leerte mit verzerrtem Gesicht ihre Tasse.
Es folgten noch einige vernünftig vorgetragene Erläuterungen von seiten des Priesters sowie eine schmeichelnde Bitte um Spenden,
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