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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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je einen Trupp Rekruten nach einem Marsch gesehen? Aber ich habe Ihnen das alles bloß erzählt, um den inneren Widerspruch der Templer zu verdeutlichen. Ein Templer musste asketisch und mystisch sein, er durfte nicht fressen und saufen und vögeln, aber er zog durch die Wüste und schnitt den Feinden Christi die Köpfe ab, und je mehr er abschnitt, desto mehr Abschnitte sammelte er für seine Eintrittskarte ins Paradies, er stank und wurde jeden Tag struppiger, und dann kam der heilige Bernhard daher und verlangte auch noch, dass er, wenn er eine Stadt erobert hatte, nicht über die kleinen Maurenmädchen herfiel oder, was weiß ich, auch über die älteren, und dass er in mondlosen Nächten, wenn, wie man weiß, der Samum durch die Wüste fegt, sich nicht eine kleine Gefälligkeit von seinem bevorzugten Kameraden erweisen ließ! Wie schafft man das, gleichzeitig Mönch und Haudegen zu sein? Du schlitzt Bäuche auf und sprichst dazu das Ave Maria, du darfst deiner eigenen Cousine nicht ins Gesicht sehen, und dann kommst du nach tagelanger Belagerung in eine Stadt, die anderen Kreuzfahrer treiben's vor deinen Augen mit der Frau des Kalifen, wundervolle Suleikas öffnen ihre Korsetts und sagen: Nimm mich, nimm mich, aber lass mir das Leben... Nix da, von wegen, der Templer muss standhaft bleiben, stinkig und struppig, wie ihn der heilige Bernhard wollte, und fromm das Abendgebet rezitieren... Andererseits, man braucht nur mal die Retraite zu lesen ...«
    »Was ist das?«
    »Verhaltensregeln des Ordens, ziemlich spät verfasst, als der Orden schon sozusagen in Pantoffeln war. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Armee, die sich langweilt, weil der Krieg vorbei ist. Da werden zum Beispiel an einem bestimmten Punkt Raufereien verboten, Verletzungen eines Christen aus Rache, Umgang mit einer Frau, Verleumdungen eines Bruders. Man darf keinen Sklaven entkommen lassen, nicht aufgebracht sagen: ›Ich haue ab zu den Sarazenen!‹, kein Pferd aus Unachtsamkeit verlieren, keine Tiere verschenken außer Hunden und Katzen, nicht ohne Erlaubnis fortgehen, das Siegel des Meisters nicht zerbrechen, nicht bei Nacht das Quartier verlassen, kein Geld des Ordens verleihen, ohne dazu ermächtigt zu sein, nicht wütend die Kleider auf den Boden werfen ...«
    »Verboten kann man entnehmen, was die Leute gewöhnlich tun«, sagte Belbo. »Man kann daraus ein Bild des Alltagslebens gewinnen.«
    »Na, schauen wir mal«, sagte Diotallevi. »Ein Templer, aufgebracht durch irgendwas, was die Brüder am Abend zu ihm gesagt oder mit ihm gemacht haben, verlässt heimlich in der Nacht das Quartier, zu Pferd, mit einem maurischen Knappen und drei Kapaunen am Sattel; er reitet zu einer Frau mit lockerem Lebenswandel, schenkt ihr die Kapaune und verschafft sich dadurch Gelegenheit zu einem unerlaubten Beischlaf... Dann, während sie's treiben, macht sich der Maurenbengel mit dem Pferd aus dem Staub, und unser Templer, noch stinkender, verschmitzter und struppiger als gewöhnlich, kommt mit eingezogenem Schwanz nach Hause und zahlt, um nicht verraten zu werden, ein Schweigegeld (aus der Kasse des Ordens) an den üblichen jüdischen Wucherer, der am Tor auf ihn wartet wie ein Geier auf der Stange ...«
    »Du sagst es, Kaiphas«, warf Belbo ein.
    »Nun ja, man redet halt so in Klischees. Am nächsten Tag bemüht sich unser Templer, wenn schon nicht den Knappen, so wenigstens einen Anschein von seinem Pferd wiederzukriegen. Aber ein Mitttempler kommt ihm auf die Schliche, und am Abend (man weiß ja, in diesen Gemeinschaften ist der Neid zu Hause), als zur allgemeinen Zufriedenheit das Fleisch auf den Tisch kommt, macht er schlüpfrige Anspielungen. Der Hauptmann schöpft Verdacht, der Verdächtige verheddert sich, wird rot, zieht den Dolch aus dem Gürtel und stürzt sich auf den Mitbruder... « »Den Sykophanten«, präzisierte Belbo. »Den Sykophanten, richtig, er stürzt sich auf den Denunzianten und verunstaltet ihm das Gesicht. Dieser greift zum Schwert, die beiden beginnen zu raufen, der Hauptmann brüllt ›Ruhe da!‹ und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, die Brüder grinsen... « »Trinkend und fluchend wie Templer...«, ergänzte Belbo. »Gottverflucht, Gottverdammt, Herrgottsakrament, Himmelnochmal, Potzblitzdonnerundschwefel, Jesusmariaundjoseph!« dramatisierte ich.
    »Kein Zweifel, unser Mann gerät außer sich, er... zum Teufel, was macht ein Templer, wenn er außer sich gerät?« »Er läuft blauviolett an«, erwog Belbo. »Genau,

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