Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
anschließend die Gesichtshaut abzog, sich selbst überstülpte, um damit getarnt, aus dem Hochsicherheitstrakt zu fliehen.
War Pommerenke vielleicht auch so eine Bestie, die bei der erstbesten Gelegenheit über mich herfallen würde, oder war er doch noch ein Mensch und wenn ja, was für ein Mensch war er? Was haben die insgesamt fast 45 Jahre Gefängnis aus ihm gemacht? Das herauszufinden, war mein Ziel. Ich studierte jede Bewegung und jede erkennbare Regung von ihm. So oft ich konnte, schaute ich ihm in die Augen. Sofort fiel mir auf, dass das obere Lid des linken Auges etwas nach unten hing. Es schien, als ob der Mann an einer beginnenden Lidlähmung litt. Das verlieh seinem Gesicht zeitweise einen überaus traurigen Ausdruck. Dagegen spiegelte sein rechtes Auge ganz offensichtlich seine Persönlichkeit wider. Manchmal wirkte es so kalt wie Eis, um im nächsten Augenblick wieder die Freundlichkeit eines friedfertigen Menschen auszustrahlen.
Ich schaute mir seine Hände an, und ohne dass ich es wollte, sah ich sie für einen kurzen Augenblick blutbesudelt, so wie sie ausgesehen haben mussten, als er Frauen den Hals durchschnitt.
Pommerenke hatte große, kräftige Hände mit relativ langen Fingernägeln, die jedoch nicht besonders sauber waren. Insgesamt erschienen die Hände, wie auch sein gesamtes Äußeres, sehr ungepflegt.
Und eines fiel mir auch noch auf: jenes mokante Lächeln, auf das 1959 bereits Kriminalrat Zizman und Kriminalkommissar Gut immer dann aufmerksam wurden, wenn sie Pommerenke in die Enge gedrängt hatten und dieser dann mit ein paar prägnanten Worten seinen Hals wieder einmal aus der Schlinge ziehen konnte.
Das Gespräch dauerte knapp zwei Stunden. Pommerenke erlaubte, dass ich mir dabei Notizen machte. Auch unterschrieb er zum Abschluss der sehr interessanten Unterhaltung eine Einverständniserklärung, die es mir gestatten sollte, über das Gespräch in einem Buch zu berichten.
Pommerenke erzählte, er stehe in der Hierarchie der Gefangenen auf der untersten Stufe. In den ersten 20 Jahren sei das nicht so schlimm gewesen, da alle wegen seiner grässlichen Taten vor ihm Respekt hatten. Selbst die Wärter hätten Angst vor ihm gehabt. Man hätte ihn Heinrich den Schrecklichen genannt. Wenn er seinen Haftkoller bekommen habe, hätte er in seiner Zelle alles kurz und klein geschlagen. Dann seien sechs Mann über ihn hergefallen, um ihn zu bändigen.
Heute sei er ein alter Mann, und die Mitgefangenen würden ihn oft als Blitzableiter ihrer aufgestauten Aggressionen benützen. Dann müsse er auf der Hut sein, um mit heiler Haut davonzukommen. Viele würden ihn nur noch mitleidig belächeln.
Während er für seine Arbeit 1,29 Euro pro Stunde bekäme, würden die Gebühren für Gesuche zwischen 30 und 123 Euro kosten. Er sei für das Zusammenlesen von Papier und anderem Abfall im Gefängnishof zuständig.
In den nun schon über 44 Jahren Haft sei er die meiste Zeit in einer Einzelzelle gesessen. Er habe es auch mal mit einer Zweierzelle probiert. Das sei jedoch nicht lange gutgegangen.
Zu Verwandten oder früheren Bekannten habe er keinerlei Kontakte mehr. Nicht einmal Briefe würde er erhalten. Auch seine Schwester habe vor etwa 15 Jahren den Kontakt zu ihm abgebrochen.
Im Jahr 1986 sei gegen ihn nachträglich Sicherungsverwahrung verhängt worden. Dagegen wolle er jetzt vorgehen, da er der Meinung sei, er habe genug gebüßt. Sollte er aus der Haft entlassen werden, würde er gerne nach Berlin gehen, wo es eine Art Altersheim für entlassene Langzeitgefangene gäbe.
Pommerenke beklagte sich bitter, dass ihm pro Jahr insgesamt vier Ausführungen zugesagt wurden, er aber nur zwei erhalten habe. Einmal habe er mit einem begleitenden Beamten eine Neckarfahrt machen dürfen.
Vor einiger Zeit hätten Ärzte versucht, ihn medikamentös zu kastrieren. Dies sei jedoch schiefgegangen. Seit dem sei sein Cholesterinwert buchstäblich in die Höhe geschnellt. Er fühle sich nicht mehr wohl, bekäme oft Schweißausbrüche und Angstzustände.
Auf meine Frage, inwieweit sein Sexualtrieb noch vorhanden sei, meinte Pommerenke, er würde schon gerne mal wieder mit einer Frau zusammen sein, sehe allerdings dabei das Problem, dass hierbei » etwas passieren« könne.
» Das heißt, Sie würden wieder morden?«, fragte ich ihn.
» Ich kann es nicht ausschließen. Nach so langer Zeit im Gefängnis weiß ich nicht, wie ich reagieren würde. Deshalb wäre es gut, wenn man mich nie mit einer Frau allein
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