Das Glasperlenspiel
ganzen strengen Moral der neu erstandenen Geistigkeit hing eine puritanische Scheu vor »Allotria«, vor Vermischung der Disziplinen und
Kategorien zusammen, eine tiefe und wohlberechtigte Scheu vor dem Rückfall in die Sünde der Spielerei und des Feuilletons.
Es war die Tat eines einzelnen, die nun das Glasperlen- spiel beinahe mit einem einzigen Schritt zum Bewußtsein seiner Möglichkeiten und damit an die Schwelle der universalen Ausbildungsfähigkeit brachte, und wieder war es die
Verbindung mit der Musik, welche dem Spiel diesen Fortschritt brachte. Ein Schweizer Musikgelehrter, zugleich fanatischer Liebhaber der Mathematik, gab dem Spiel eine neue Wendung und damit die Möglichkeit zur höchsten Entfaltung. Der bürgerliche Name dieses großen Mannes ist nicht mehr zu ermitteln, seine Zeit kannte den Kultus der Person auf den geistigen Gebieten schon nicht mehr, in der Geschichte lebt er als Lusor (auch: Joculator) Basiliensis fort. Seine Erfindung, wie jede Erfindung, war zwar durchaus seine persönliche Leistung und Gnade, kam aber keineswegs nur aus einem privaten Bedürfnis und Streben, sondern war von einem stärkeren Motor getrieben.
Unter den Geistigen seiner Zeit war überall ein
leidenschaftliches Verlangen nach einer Ausdrucksmöglichkeit für ihre neuen Denkinhalte lebendig, man sehnte sich nach Philosophie, nach Synthese, man empfand das bisherige Glück der reinen Zurückgezogenheit auf seine Disziplin als unzulänglich, da und dort durchbrach ein Gelehrter die Schranken der Fachwissenschaft und versuchte ins Allgemeine
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vorzustoßen, man träumte von einem neuen Alphabet, einer neuen Zeichensprache, in welcher es möglich würde, die neuen geistigen Erlebnisse festzuhalten und auszutauschen. Zeugnis davon gibt mit besonderer Eindringlichkeit die Schrift eines Pariser Gelehrten jener Jahre mit dem Titel »Chinesischer Mahnruf«. Der Urheber dieser Schrift, zu seiner Zeit von vielen als eine Art Don Quichotte bespöttelt, übrigens ein angesehener Gelehrter auf seinem Gebiete, der chinesischen Philologie, setzt auseinander, welchen Gefahren die Wissenschaft und
Geistespflege trotz ihrer braven Haltung entgegengehe, wenn sie darauf verzichte, eine internationale Zeichensprache auszubauen, welche ähnlich der alten chinesischen Schrift es erlaube, das Komplizierteste ohne Ausschaltung der
persönlichen Phantasie und Erfinderkraft in einer Weise graphisch auszudrücken, welche allen Gelehrten der Welt verständlich wäre. Den wichtigsten Schritt nun zur Erfüllung dieser Forderung hat der Joculator Basiliensis getan. Er erfand für das Glasperlenspiel die Grundsätze einer neuen Sprache, nämlich einer Zeichen- und Formelsprache, an welcher die Mathematik und die Musik gleichen Anteil hatten, in welcher es möglich wurde, astronomische und musikalische Formeln zu verbinden, Mathematik und Musik gleichsam auf einen
gemeinsamen Nenner zu bringen. Wenn auch die Entwicklung damit keineswegs abgeschlossen war, den Grund zu allem Späteren in der Geschichte unseres teuren Spieles hat damals der Basler Unbekannte gelegt.
Das Glasperlenspiel, einst die Spezialunterhaltung bald der Mathematiker, bald der Philologen oder Musiker, zog nun mehr und mehr alle wahrhaft Geistigen in seinen Bann. Manche alte Akademie, manche Loge und besonders der uralte Bund der Morgenlandfahrer wendeten sich ihm zu. Auch einige der katholischen Orden witterten hier eine neue Geistesluft und ließen sich von ihr entzücken, namentlich wurde in einigen Benediktinerabteien dem Spiele so viel Teilnahme gewidmet,
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daß schon damals die auch später gelegentlich wieder auftauchende Frage akut wurde, ob eigentlich dieses Spiel von Kirche und Kurie geduldet, unterstützt oder verboten werden müsse.
Seit der Großtat des Baslers nun hat das Spiel sich rasch vollends zu dem entwickelt, was es noch heute ist: zum Inbegriff des Geistigen und Musischen, zum sublimen Kult, zur Unio Mystica aller getrennten Glieder der Universitas Litterarum. Es hat in unsrem Leben teils die Rolle der Kunst, teils die der spekulativen Philosophie übernommen und wurde zum Beispiel zur Zeit des Plinius Ziegenhalß nicht selten auch mit einem Ausdruck bezeichnet, welcher noch aus der Dichtung der feuilletonistischen Epoche stammt und für diese Epoche das Sehnsuchtsziel manches vorahnenden Geistes benannte, mit dem Ausdruck: magisches Theater.
War nun das Glasperlenspiel seit seinen Anfängen an Technik und an Umfang der Stoffe ins
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