Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
alles erzählen«, lachte Cristin und strich ihrer Tochter über das rotblonde Köpfchen. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit der Lohnarbeiterin zu. »Minna, sei so gut und kümmere dich um das Pferd dieses Herrn. Sieh bitte nach, ob du frische Kleidung für unseren Besuch findest. Und richte ihm den Gästeraum her, ja? Der Mann hat eine weite Reise hinter sich.«
Minnas Augen wanderten von dem Pergament zu Cristin und weiter zu dem Boten. Von ihrer Miene war Verwirrung abzulesen.
»Natürlich, Frau Schimpf.« Sie streckte die Hände nach dem Kind aus. »Komm, Elisabeth, wir haben zu tun.«
Die rundliche Frau setzte sich die Kleine kurzerhand auf die Hüfte und ging gefolgt von dem Boten hinaus.
Nachdem Minna dem Besucher einen Zuber mit warmem Wasser gefüllt und alte, aber saubere Kleidung von Baldo bereitgelegt hatte – die beiden Männer hatten ungefähr die gleiche Größe –, kehrte in dem Haus endlich Stille ein. Cristin verriegelte die Werkstatttür, gab Elisabeth ein unbrauchbares Knäuel Wolle zum Spielen und setzte sich mit Jadwigas Botschaft ans Fenster. Doch bevor sie das Schreiben öffnete, schweiften ihre Gedanken zu dem Tag zurück, an dem sie, Baldo und ihr Bruder Piet der polnischen Königin das erste Mal begegnet waren.
Ihre Suche nach den Lübecker Menschenhändlern hatte sie nach Polen geführt. Dort hatten sie Königin Jadwiga kennengelernt, die mit ihrem Gefolge in einem Spital erschienen war. Cristins Bewunderung für die Regentin kannte keine Grenzen. Jadwiga war nicht nur schön, sondern auch gebildet und freundlich. Ihr Einsatz für die Mittellosen, Kinder und Vernachlässigten ihres Volkes war beispiellos. Doch der Druck, einen Thronfolger zu gebären, und die wenig glückliche Ehe mit dem um viele Jahre älteren König Jagiello lasteten schwer auf den Schultern der Monarchin. Cristin hatte sie schließlich durch die geheimnisvollen Kräfte ihrer Hände von einem lästigen Magenleiden befreien können und war eine Zeit lang ihre Heilerin gewesen.
Die junge Frau blinzelte und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Was konnte Jadwiga von ihr wollen? Vorsichtig, um die Rolle nicht zu beschädigen, brach sie das königliche Siegel auf. Sie hielt das Pergament näher an den schmalen Lichtstreif, der durch das Fenster fiel, denn der Tag war dunstig, und die Sonne zeigte sich nur selten. Erregung erfasste sie. Sie legte den Zeigefinger auf das erste Wort und begann zu lesen.
Liebste Freundin,
mein Herz jauchzt und jubelt. Gott der Allmächtige wird mir in Seiner Gnade ein Kindlein schenken. Bald schon. Mein Leibarzt denkt, es wird zum Ende des Julis zur Welt kommen. Der König ist außer sich vor Freude.
So möchte ich dich, liebe Agnes, und Baldo, deinen lieben Gemahl, die letzten Wochen, bevor das Kindlein kommt, um mich wissen. Mir wäre wohl zumute, meine beste Heilerin an meiner Seite zu haben.
In wenigen Tagen wird eine Kutsche bei dir eintreffen. Ein Bote, der für mich im Norden des Reichs unterwegs war, konnte glücklicherweise herausfinden, wo du dich mit deinem lieben Mann aufhältst. Ich weiß, ihr werdet mir meine Bitte nicht abschlagen und bald bei mir sein. Seid gewiss, ich werde es euch reich vergelten.
In der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen auf dem Wawel …
Unterzeichnet hatte die polnische Königin lediglich mit einem schlichten Jadwiga .
Cristin ließ das Pergament sinken. Ihre Wangen röteten sich vor Freude. Jadwigas sehnlichster Wunsch würde nun endlich in Erfüllung gehen. Ihre Augen wurden feucht. Gar lebhaft konnte sie sich vorstellen, wie die Leibärzte, Zofen und Bediensteten sich mit ihren Bemühungen, es der verehrten Herrscherin so bequem wie möglich zu machen, gegenseitig zu übertrumpfen versuchten. Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie aufmerksam alle den Gesundheitszustand der Königin beäugten. Das leiseste Anzeichen einer möglichen Schwangerschaft, und sei es nur eine vorübergehende Übelkeit, musste sich wie ein Lauffeuer auf dem Wawel und im gesamten polnischen Reich verbreitet haben. Heiler waren im vergangenen Jahr auf der Burg ein und aus gegangen, jeder mit eigenen, neuen Heilmethoden, um der Kinderlosigkeit des Königspaares ein Ende zu bereiten.
Cristin lächelte. Elisabeth war andächtig damit beschäftigt, die Wolle in jeder Ecke der Werkstatt zu verteilen, und Lump hatte es sich neben dem neuen Spinnrad bequem gemacht. Den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt, verfolgte er Elisabeths Taten ungerührt. Dem Hund hatte es nicht
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