Das Haus des Windes
schwarzen Filzstift gezogene Linien zerfurchten ihre Stirn, und sie zupfte am Saum ihres Quilts. Sauer!
In Whiteys Tanke gibt es jetzt auch Milch, Mom. Ich kann da mit dem Rad hin.
Wirklich? Sie sah mich an, als hätte ich sie gerettet. Wie einen Helden.
Ich holte ihr Portemonnaie. Sie gab mit einen Fünf-Dollar-Schein.
Hol dir auch selbst was, sagte sie. Was du magst. Süßigkeiten. Sie stolperte über ihre Worte, und ich begriff, dass sie ihr vermutlich Medikamente gegeben hatten, damit sie schlafen konnte.
Unser Haus war ein robuster zweigeschossiger Bau im Bungalow-Stil aus den 1940ern. Früher hatte der Schulinspektor vom Amt für Indianische Angelegenheiten dort gewohnt, ein aufgeblasener, schmieriger, abnorm kleiner Bürokrat, den alle aus tiefster Seele hassten. 1969 war das Haus an den Stamm verkauft und anschließend als Büro genutzt worden, bis man beschloss, es abzureißen und durch ein funktionaleres Bürogebäude zu ersetzen. Mein Vater hatte es gekauft und auf das kleine Stück Land außerhalb des Ortes versetzt, das einmal Geraldines seligem Onkel Shamengwa gehört hatte, einem gutaussehenden Mann auf einer altmodischen gerahmten Fotografie. Meine Mutter vermisste seine Musik, aber die Geige hatte er mit ins Grab genommen. Den Rest von Shamengwas Grundbesitz hatte Whitey benutzt, um am anderen Ende der Siedlung eine Tankstelle aufzubauen. Die kleine Parzelle vier Meilen weiter draußen, auf der er wohnte, gehörte Mooshum. Onkel Whitey hatte eine jüngere Frau geheiratet, eine große, blonde ehemalige Stripperin,die jetzt auf der Tankstelle an der Kasse saß. Whitey zapfte das Benzin, wechselte das Motoröl, pumpte Reifen auf und machte halbherzige Reparaturen. Seine Frau kümmerte sich um die Buchhaltung, bestückte die Regale des kleinen Ladens mit Chips und Nüssen und erklärte den Leuten, warum sie anschreiben lassen durften oder nicht. Sie hatte vor kurzem ein hohes Kühlregal für Milchprodukte angeschafft. In einem kleineren kühlte sie Orangen- und Traubenlimonade. Sonja hieß sie, und ich mochte sie, wie ein Junge seine Tante eben mag, aber mit ihren Brüsten sah es anders aus – in die war ich hoffnungslos verknallt.
Ich nahm einen Rucksack mit und holte mein Fahrrad. Es war ein verbeultes Fünfgangrad mit BMX-Reifen, einem Flaschenhalter und dem silbernen Schriftzug Storm Ryder auf der Rahmenstange. Ich fuhr die löchrige Nebenstraße hoch und über den Highway, drehte eine Runde um die Tanke und legte eine seitlich schlitternde Vollbremsung hin, in der Hoffnung, dass Sonja mich beobachtete. Aber nein, sie saß drinnen und zählte Slim Jims. Sie hatte ein großes, breites, strahlendes weißes Lächeln. Als ich hereinkam, blickte sie hoch und richtete dieses Lächeln auf mich. Es war wie eine Wärmelampe. Ihr Zuckerwattehaar war zu einer gezwirbelten gelben Krone hochgesteckt, aus der ein armlanger glänzender Pferdeschwanz ihren Rücken hinabhing. Ihr Outfit war wie immer aufsehenerregend – diesmal ein babyblauer Trainingsanzug mit paillettenbesetzten Nähten, von dem der Reißverschluss zu drei Vierteln heruntergezogen war. Ich schnappte nach Luft, als ich ihr T-Shirt sah: blass und durchscheinend wie ein Feenflügel. Dazu trug sie blitzsaubere Turnschuhe mit dicken Sohlen und Diamantohrstecker, groß wie Reißzwecken. Wenn sie, wie so oft, blaue Sachen anhatte, sprühten ihre blauen Augen elektrische Funken.
Herzchen, sagte sie, legte die Slim Jims weg und umarmte mich. Es war gerade niemand da, der tanken oder einkaufenwollte. Sie roch nach Marlboros, Aviance Night Musk und ihrem ersten Drink des Tages.
Ich hatte Glück: Ich war ein Junge, den die Frauen gern verhätschelten. Dafür konnte ich nichts, und mein Vater machte sich Sorgen deswegen. Er bemühte sich nach Kräften, weibische Zärteleien durch echte Männerbeschäftigungen auszugleichen – wir spielten Fangen, übten Footballwürfe, gingen zelten und angeln. Wir angelten oft. Mit acht Jahren hatte er mir das Autofahren beigebracht. Er befürchtete, dass die Frauen mich verweichlichen könnten, dabei hatten sie ihn genauso verwöhnt, das wusste ich, und meine Großmutter hatte ihn (und mich) in jenen Jahren vor ihrem Tod auch ziemlich verhätschelt. Jedenfalls war ich in meiner Familienchronik in eine Lücke gestoßen. Mein Cousin Joseph und seine Schwester Evelina waren auf dem College, als ich geboren wurde. Whiteys Söhne aus erster Ehe waren schon erwachsen, und Sonjas Beziehung zu ihrer Tochter London war
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