Das Haus Nucingen (German Edition)
unterschiebt. Urteilt selbst, wie sehr er in Anspruch genommen war. Joby und seine Pferde wurden nun in seinem Dasein nebensächliche Dinge. Er war nur dann glücklich, wenn er, in seinen bequemen Lehnstuhl vergraben, zur Seite des Kamins aus grünem Marmor, der Baronin gegenübersaß, Isaure anschauen und behaglich plaudernd seinen Tee schlürfen konnte. Es war immer ein kleiner Freundeskreis dort in der Rue Joubert beisammen, man kam zwischen elf und Mitternacht und konnte ohne Gefahr ein Spielchen machen; ich habe dort immer gewonnen! Wenn Isaure ihren hübschen kleinen Fuß im schwarzen Seidenschuh kokett zeigte und Godefroid ihn lange betrachtet hatte, so blieb er als der Letzte da und sagte zu Isaure: ›Gib mir deinen Schuh ...‹ Isaure hob den Fuß, stellte ihn auf einen Stuhl, zog den Schuh aus und gab ihn ihm mit einem Blick, einem Blick ... nun, ihr versteht! Godefroid entdeckte an Malvina ein großes Geheimnis. Wenn du Tillet an die Tür klopfte, so flüsterte das Rot, das in Malvinas Wangen stieg: ›Ferdinand!‹ Wenn das arme Mädchen den prankenbewehrten Tiger ansah, so leuchteten ihre Augen auf wie ein Kohlenbecken, über das ein Wind hinfährt; sie empfand eine unendliche Beseligung, wenn Ferdinand sie beiseiteführte, um mit ihr allein zu plaudern, Wie schön und selten ist das: ein Weib, dessen Liebe so stark ist, daß sie sie nicht zu verbergen strebt, sondern offen darbringt! Du lieber Himmel, das ist hier in Paris freilich gerade so selten wie die singende Blume in Indien. Ungeachtet dieser Freundschaft, die mit dem Tage begann, als die d'Aldrigger bei den Nucingens erschienen, heiratete Ferdinand Malvina nicht. Unser wilder du Tillet schien auf Desroches nicht eifersüchtig zu sein, der Malvina so eifrig den Hof machte, als hoffe er, mit einer Mitgift, die vermutlich mindestens fünfzig Taler betragen dürfte, sein Amt bezahlen zu können. Obgleich du Tillets Gleichgültigkeit Malvina tief demütigte, liebte sie ihn doch zu sehr, als daß sie es über sich gebracht hätte, ihn nicht mehr vorzulassen. Der Stolz dieses Mädchens, das ganz Seele, ganz Empfindung war, unterlag zeitweise der Liebe, zeitweise gewährte die beleidigte Liebe dem Stolz die Oberhand. Ruhig und kühl nahm unser Freund Ferdinand diese zärtliche Hingabe an, sog sie ein mit dem stillen Entzücken, mit dem der Tiger das Blut leckt, das ihm an der Schnauze klebt; er kam und holte sich die Beweise oft genug – es vergingen kaum zwei Tage, ohne daß er sich in der Rue Joubert gezeigt hätte. Der Bursche besaß damals gegen achtzehnhunderttausend Franken, die Vermögensfrage dürfte also bei ihm keine Rolle gespielt haben; aber er widerstand nicht nur Malvina selber, sondern auch den Baronen von Nucingen und von Rastignac, die ihn wohl täglich fünfundsiebzig Meilen durch das Labyrinth ihrer Netze jagten, die sie ausgelegt, um ihn einzufangen. Godefroid konnte sich nicht enthalten, seiner zukünftigen Schwägerin Vorhaltungen zu machen, in welch lächerlicher Lage sie sich da befinde – zwischen dem Bankier und dem Anwalt. ›Sie wollen mir wegen Ferdinand eine Predigt halten,‹ sagte sie in schöner Offenheit, ›möchten das Geheimnis kennen lernen, das zwischen uns besteht? Lieber Godefroid, kommen Sie nie wieder darauf zurück! Die Geburt Ferdinands, seine Ahnen, sein Vermögen schließen es aus, daß ... Nehmen Sie also einen Ausnahmefall an!‹ Einige Tage später aber nahm Malvina Beaudenord beiseite und sagte zu ihm: ›Ich halte Desroches für keinen anständigen Menschen‹ (wie scharf ist doch der Instinkt der Liebe!), ›er bewirbt sich um mich und macht dabei der Tochter eines Drogisten den Hof. Ich wüßte gern, ob ich gewissermaßen sein Notnagel bin, ob die Ehe für ihn eine Geldangelegenheit ist.‹ Trotz seiner Geriebenheit konnte Desroches du Tillet nicht durchschauen, und er fürchtete, dieser werde Malvina heiraten. So hatte der gute Junge sich einen Rückzug offen gehalten; seine Lage war unerträglich, er brachte kaum die Zinsen seiner Schuld auf. Die Weiber verstehen nichts von diesen Dingen. Das Herz ist für sie immer Millionär!«
»Da aber weder Desroches noch du Tillet Malvina geheiratet haben, so bist du uns die Erklärung für Ferdinands Geheimnis schuldig,« sagte Finot. »Also das Geheimnis!« erwiderte Bissiou. »Allgemeine Regel: ein junges Mädchen, das ein einziges Mal einem Manne seinen Schuh gegeben, wird, und wenn sie ihn auch für die Folge zehn Jahre lang verweigerte, niemals von
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