Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
augenblicklich, oder vielleicht Schmerz, und sie beschleunigte ihre Schritte mit wachsender Besorgnis, eilte durch die Küche auf die Terrasse und sah den Teenager mit dem Rücken an die Wand des Hauses gedrückt.
»Jason, was ist los?«
Er gab keine Antwort, aber er war auf den Beinen, schien nicht verletzt zu sein.
Er starrte auf irgendetwas – eine ganze Reihe von Dingen in der Nähe des Geländers zwischen der Terrasse und dem Wasser. Grace’ Augen überflogen sie rasch, erfassten Plastikbehälter, eine scharlachrote Schachtel, eine weiße Schleife.
Und dann sah sie, dass es nichts von alledem war, was ihn so gebannt hatte.
Es war etwas anderes, etwas von einem dunkleren, glänzenderen Rot.
Blut.
Grace sah zurück zu Jason, musterte ihn von seinen roten Haaren bis hinunter zu seinen abgewetzten grauen Keds. »Jason, wo bist du verletzt?«
»Ich bin nicht verletzt.« Die Stimme des Jungen klang verängstigt, schuldbewusst. »Es tut mir leid, Doc.«
Grace’ Augen huschten zurück zu dem Durcheinander.
Sahen, dass da nicht nur Blut auf dem Boden war.
»Großer Gott!«, sagte sie in dem Augenblick, als ihr der üble Geruch davon entgegenschlug.
Momentane Erleichterung durchströmte sie, da Joshua bis zum Mittag wohl behütet im Kindergarten sein würde. Und dann schwand diese Erleichterung schlagartig. Das hier bedeutete wieder Ärger; das hier bedeutete zumindest noch mehr Scherereien, hier in ihrem eigenen Garten.
»Es war in dieser Schachtel«, flüsterte Jason.
Grace sah auf die scharlachrote Schachtel, den Deckel mit der weißen Schleife daneben und die beiden leeren Tupperware-artigen Behälter in der Nähe.
»Ich wusste, ich hätte es mir nicht ansehen dürfen«, fuhr der Junge fort. »Aber das ist einfach so eklig, Doc! Sie wissen doch, was es ist, oder?«
Jason wusste es; er hatte genau so etwas auf einer Horror-DVD gesehen, die er und Alex Bailey vor ein oder zwei Wochen schwarzgebrannt hatten.
»Ich weiß, was es ist«, sagte Grace leise.
Grundkurs Anatomie.
Kein Zweifel.
Es war ein menschliches Herz.
3
Kein Bombenentschärfungskommando war gekommen, aber eine andere Art explosionsartiges Spektakel fand jetzt auf der Terrasse der Beckets statt.
Detective Sam Becket und sein Partner, Alejandro Martinez, waren vor Ort, um sich die Sache selbst anzusehen. Schließlich handelte es sich hier – obwohl das Haus der Beckets offiziell der Zuständigkeit des Bay Harbor Islands Police Departments unterlag und, bei Verdacht auf ein Gewaltverbrechen, den Behörden von Miami-Dade unterstellt war – um das Zuhause von Sam, seiner Frau Grace, einer angesehenen Kinder-und Jugendpsychologin, und ihres kleinen Sohns. Niemand erhob Einwände.
Die Spurensicherung war schon seit einer Weile vor Ort, aber Dr. Elliot Sanders, der kürzlich ernannte leitende Gerichtsmediziner des Bezirks – noch immer übergewichtig, noch immer ein Raucher, der mehr Whiskey trank, als gut für ihn war, aber auch noch immer der beste Gerichtsmediziner, den Sam oder Martinez kannten –, hatte ebenfalls alles stehen und liegen lassen, um sich die Sache anzusehen; seine persönliche Höflichkeitsgeste gegenüber einem Detective, den er im Laufe etlicher Jahre gut kennen und schätzen gelernt hatte. Zusammen mit Sanders war ein kleines Team von Technikern aus seinem Büro eingetroffen. Und sobald alle damit fertig waren, die Fundstelle zu fotografieren, Skizzen anzufertigen und alles zu sammeln, was sie an Beweismaterial finden konnten, würden das kleine gelbe Dingi, die fünf Millimeter dicke Polypropylenleine, mit der es vertäut gewesen war, und sein geheimnisvoller, grausiger Inhalt in das Gerichtsmedizinische Institut verbracht werden.
Und dann würde der Prozess beginnen, die Person ausfindig zu machen, der das Herz gehörte.
Im besten Fall könnte sich herausstellen, dass es jemand war, der bereits verstorben war; ein Organspender vielleicht – ein Verbrechen, das schon abscheulich genug war angesichts des lebensrettenden Potenzials des Herzens für eine Transplantation.
Es könnte aber auch etwas ganz anderes sein.
Ein Mordopfer, nach dem Tod verstümmelt.
»Oder vielleicht davor«, dachte Martinez laut, ein stämmiger Kuba-Amerikaner mittleren Alters mit rundlichem, ausdrucksvollen Gesicht. Seine scharfen dunklen Augen beschworen Bilder herauf, die ihn anwiderten.
»Denk gar nicht erst dran«, sagte Sam zu ihm.
Er sah zu Grace hinüber, die ein paar Schritte weiter auf ihrer Veranda stand, sah die
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