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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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Zauberer, genau so, wie es die Hexe zu ihm gesagt hatte. »Sieh dir deine Fabelgenossen an und sage mir, was du siehst.«
    Rukhs Stimme klirrte durch den öden Nachmittag: »Türhüter der Hölle. Drei Köpfe und ein warmes Fell aus Vipern. Zu Herkules’ Zeiten zum letzten Mal aus der Unterwelt geholt. Wir haben ihn mit Verheißungen eines besseren Lebens ans Licht gelockt. Seht euch diese sechs roten, betrogenen Augen an! Vielleicht werdet ihr eines Tages wieder in sie schauen. Zur Midgardschlange dort hinüber!«
    Das Einhorn starrte durch das Gitter auf das Tier im Käfig, und seine Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Aber das ist ja nur ein Hund«, flüsterte es, »ein hungriger, unglücklicher Hund, der nur einen Kopf und fast gar kein Fell hat, der Ärmste. Wie können sie ihn für Zerberus halten? Sind sie alle blind?«
    »Sieh genauer hin«, sagte der Zauberer.
    »Und der Satyr«, sagte das Einhorn, »der Satyr ist ein Affe, ein alter Affe mit einem verkrüppelten Fuß. Der Drache ist ein Krokodil, das viel eher Fische als Feuer speit. Und der große Martichoras ist ein Löwe, ein tadelloser Löwe, aber um kein Haar mehr ein Monster als die anderen. Ich versteh das nicht.«
    »Beherbergt in ihren Windungen die ganze Welt!«, dröhnte Rukh. Und wieder sagte der Zauberer: »Sieh genauer hin!«
    So, als gewöhnten sich seine Augen an Dunkelheit, begann das Einhorn in jedem der Käfige eine zweite Gestalt wahrzunehmen. Riesengroß ragten diese Gestalten über den Gefangenen der Mitternachtsmenagerie und gehörten dennoch zu ihnen, einem Korn Wahrheit entsprungene Albträume. Da stand ein Martichoras, hungeräugig, triefmäulig und brüllend, krümmte seinen tödlichen Schweif, bis dessen giftiger Stachel über seinen Ohren baumelte – und zur gleichen Zeit stand da ein Löwe, der winzig und lächerlich aussah. Und dennoch bildeten sie ein einziges Tier. Das Einhorn stampfte verwundert auf.
    Genauso war es in den anderen Käfigen. Der Schattendrachen öffnete sein Maul und spie ungefährliches Feuer, bis die Zuschauer sich duckten und nach Luft schnappten; der schlangenbepelzte Höllenhund heulte dreifaches Verderben und Untergang über seine Verräter, und der Satyr hinkte lüstern blinzelnd ganz dicht an die Gitter seines Käfigs und forderte vor aller Augen die jungen Mädchen zu unaussprechlichen Vergnügungen auf. Krokodil, Affe und Hund verblassten vor diesen fabelhaften Trugbildern immer mehr, bis sie selbst in des Einhorns untrüglichen Augen nur noch Schatten waren. »Was für ein seltsames Zauberwerk«, sagte es leise. »Aber es ist nur Lug und Trug.«
    Der Zauberer lachte froh und erleichtert. »Gut gesagt, wirklich. Ich wusste doch, dass dieses alte Scheusal dich mit ihren billigen Zaubersprüchen nicht hinters Licht führen kann!« Seine Stimme wurde leise und geheimnisvoll: »Das war ihr dritter Fehler, und für eine altersschwache Schwindlerin wie sie sind das mindestens zwei zu viel. Die Zeit ist nahe.«
    »Die Zeit ist nahe!«, verkündete Rukh in diesem Moment den Zuschauern. »Ragnarök. An dem Tag, an dem die Götter fallen, wird die Midgardschlange einen Giftsturm nach Thor speien, und er wird umfallen wie eine vergiftete Fliege. So wartet sie auf den Tag des Gerichts und träumt von der Rolle, die sie dabei spielen wird. Mag sein, dass sie auf ihre Kosten kommt, ich weiß es nicht. Kreaturen der Nacht, ans Licht gebracht!«
    Der Käfig war voller Schlange, Schlange ohne Kopf und ohne Schwanz, eine Woge fleckiger Dunkelheit, die von einem Ende des Käfigs zum anderen wellte und wogte; ihr donnerndes Atmen löschte alles andere aus. Nur das Einhorn sah die zusammengerollt in der Ecke liegende Boa, die vielleicht über das Gericht nachsann, das sie über die Mitternachtsmenagerie halten würde. Aber neben der Midgardschlange sah sie so winzig und hilflos aus wie der Schatten einer Schlange.
    Ein neugieriger Wichtigtuer streckte die Hand und fragte Rukh: »Wenn diese Riesenschlange hier sich wirklich um die ganze Welt schlingt, wie könnt ihr dann ein Stück davon in eurem Käfig haben? Und wenn sie das Meer zerschmettern kann, wenn sie sich nur ein bisschen streckt, was soll sie dann daran hindern, mit eurer Menagerie als Halsband davonzukriechen?« Es gab zustimmendes Gemurmel unter den Zuschauern, und einige wichen ängstlich zurück.
    »Ich bin froh, dass du mich das gefragt hast, Freund«, sagte Rukh mit finsterem Blick. »Zufällig lebt die Midgardschlange in so etwas wie einem anderen

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