Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Carew spuckte das Wort fast aus. »Glaubt Ihr, ich schere mich einen Dreck um sein Glück? Ich sage Euch eins, Constanza, meiner Meinung nach ist er verrückt! Allen Ernstes, er ist verrückt.«
»Wie lange –«, setzte Constanza an.
»Wie lange noch, bis ich ihn umbringe?«
»Nein.« Gegen ihren Willen musste sie lächeln. »Ich meine, wie lange verhält er sich schon so?«
»Das wisst Ihr ebenso gut wie ich. Drei Jahre, nein, länger. Seit wir in Venedig sind, so viel ist gewiss. Seit wir Konstantinopel verlassen haben.«
»Seit er das Mädchen verloren hat, meint Ihr?«
»Das Mädchen, ja, seine Verlobte.«
»Von dem man glaubte, dass es Schiffbruch erlitt?«
»Ja«, bestätigte Carew düster.
»Was ist mit ihr geschehen?«
Carew wusste sehr gut, dass Constanza die Geschichte schon unzählige Male von Pindar gehört hatte und ihn nur fragte, um ihm einen Gefallen zu tun. Er ließ sich tatsächlich nicht lange bitten. Jede Ablenkung war ihm recht, das Warten zerrte an seinen Nerven.
»Sie hieß Celia Lamprey. Ihr Vater war Kapitän auf einem der Handelsschiffe der Kompanie. Wie Ihr gesagt habt, dachten wir, das Schiff sei in der Adria untergegangen. Aber es scheint, dass Korsaren es angegriffen haben. Sie ermordeten den Vater und alle anderen an Bord, nur das Mädchen wurde verschleppt und als Sklavin verkauft. Wir glauben – nein, wir sind uns sicher –, dass sie als Konkubine in den Palast des Sultans gebracht wurde. Ich habe sie dort einmal gesehen …« Carew schloss die Augen, als wolle er sich das Bild vergegenwärtigen.
»Ihr habt sie gesehen?« Constanza hob den Blick, als sei ihr dieser Teil der Geschichte neu. »Ich dachte, das sei unmöglich. Ich habe gehört, die Türken halten ihre Frauen strenger als Nonnen.«
»Doch, ich habe sie gesehen – obwohl ich seither oft glaubte, dass es ein Traum gewesen sein muss. Aber, Paul, nun ja, Paul hat sie nie gesehen. Wir haben es versucht, wir haben alles Mögliche versucht …« Er verstummte. »Dann hat die Valide – das ist die Mutter des Sultans – uns überrascht, und … Ach, es ist eine lange Geschichte.«
»Dann lebt sie also noch?«
»O nein, sie ist tot. Für ihn jedenfalls.«
»Der Kummer zerfrisst sein Herz«, sagte Constanza nachdenklich. »Deshalb hat er sich dem Glücksspiel ergeben.«
»Kummer? Nein.«
»Was dann?«
»Wut, würde ich meinen.«
»Wut? Wieso?«
»Er ist wütend auf sich«, sagte Carew. Er war selbst überrascht über diese neue Einsicht. »Weil er sie nicht retten konnte.« Carew trommelte mit den Fingern gegen den Fensterrahmen.
»Carew – kommt bitte endlich her und setzt Euch.« Die stets geduldige Constanza klang jetzt gereizt. »Ich habe Euch schon einmal gesagt, dass es zu nichts Gutem führt.«
Er presste die Stirn gegen den Fensterrahmen und schloss die Augen. »Aber was führt zu nichts Gutem?«
»Das Warten, das Aus-dem-Fenster-Schauen, das Fingerknacken. Um Himmels willen, Carew …« Sie legte die Karten fort, stand auf und ging zu einer der Truhen, auf der eine silberne Weinkaraffe und zwei langstielige Gläser auf einer Leinenserviette bereitstanden. »Ein Glas Wein?«
»Nein, danke«, erwiderte Carew matt. »Ich habe in letzter Zeit die Lust daran verloren.«
Constanza goss sich im Stehen ein Glas ein und musterte Carew über den Rand hinweg. Ein paar Schlucke Wein täten dir gut, mein lieber Carew, hätte sie am liebsten gesagt. Sie betrachtete ihn aufmerksam – den drahtigen Körper, die fransigen Haare, die ihm bis auf die Schultern hingen, den flackernden, unsteten Blick. Wenn da nicht seine Hände wären. Diese erstaunlich schönen Hände, die man gern betrachtete, auch wenn sie von Schnitten und Verbrennungen überzogen – man könnte fast sagen, versilbert – waren. Einen Mann erkannte man an seinen Händen. Es kann nicht lange her sein, dachte Constanza amüsiert, dass du es warst, der zu den Huren und zum Glücksspiel ging. Du warst es, der ständig in irgendwelche Schwierigkeiten geriet. Und jetzt – wer hätte das gedacht? Jetzt spielst du das Kindermädchen für deinen Herrn Paul Pindar. Aber Constanza war viel zu klug, um diese Gedanken laut auszusprechen.
»Er wird kommen«, wiederholte sie noch einmal.
»Er muss kommen. Wenn er nicht vor Ambrose hier ist, bin ich endgültig …« Wieder waren ihm die Worte gegen seinen Willen entschlüpft.
»Endgültig …?« Constanza hob eine perfekt geschwungene Augenbraue.
»Endgültig erledigt bin ich dann,
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