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Das Mörderschiff

Das Mörderschiff

Titel: Das Mörderschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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    Wahrscheinlich hatte der Mörder selbst versucht, den Meißel wieder herauszuziehen, jedoch ohne Erfolg. Ich versuchte es nicht noch einmal. Sicherlich hätte der Mörder diese handliche kleine Stichwaffe nicht zurückgelassen, wenn es ihm möglich gewesen wäre, sie herauszuziehen. Vielleicht hatte er auch einen ganzen Haufen von zentimeterbreiten Meißeln und konnte es sich leisten, den einen oder anderen achtlos im Rücken von irgend jemandem zurückzulassen.
    Überhaupt – eigentlich wollte ich den Meißel gar nicht. Ich hatte ja meinen eigenen. Keinen Meißel, sondern ein Messer. Ich holte es mir aus dem Etui, das in dem Innenfutter meiner Jacke direkt hinter dem Nacken eingenäht war. Es sah ziemlich harmlos aus, ein etwa zehn Zentimeter langer Griff und eine kleine, beiderseitig geschliffene Klinge von etwa sieben Zentimetern. Aber diese kleine Klinge konnte ein Tau von fünf Zentimeter Stärke mit einem leichten Schnitt durchtrennen, und seine Spitze war die einer Lanzette. Ich betrachtete es und sah dann auf die Tür hinter dem Tisch mit dem Funkgerät, die zu der Schlafkabine des Funkers führen mußte. Dann nahm ich eine kleine Taschenlampe aus meiner Brusttasche, ging zur Tür, die nach draußen führte, machte das Licht in der Kabine aus und wartete.
    Wie lange ich dort stand, kann ich nicht sagen. Vielleicht zwei Minuten, vielleicht sogar fünf. Warum ich wartete, wußte ich nicht. Ich redete mir ein, daß ich deshalb wartete, damit sich meine Augen langsam an die fast völlige Dunkelheit innerhalb der Kabine gewöhnten. Aber ich wußte genau, daß es nicht allein deshalb war. Vielleicht wartete ich auf irgendein Geräusch. Auf ein eingebildetes Flüstern, vielleicht wartete ich auf etwas, irgend etwas, was passieren würde, oder vielleicht hatte ich auch nur Angst, durch die innere Tür zu gehen. Fürchtete ich mich? Das konnte schon sein, ich wußte es nicht. Oder vielleicht fürchtete ich auch nur, was ich hinter der Tür vorfinden würde. Ich nahm das Messer in meine linke Hand – ich bin Rechtshänder, aber in gewissen Dingen beidhändig –, und langsam umschlossen meine Finger den Griff der inneren Tür.
    Ich brauchte etwa zwanzig Sekunden, um die Tür so weit zu öffnen, daß ich mich durch den Spalt zwängen konnte: Gerade beim letzten Zentimeter begannen die Scharniere zu quietschen. Es war ein winziges Geräusch. Ein Geräusch, das man normalerweise keine zwei Meter weit hören würde, aber bei meinen wie Stahlsaiten gespannten Nerven wäre das Donnern einer Kanone, die neben meinem Ohr abgefeuert worden wäre, ein vergleichsweise leiser Ton gewesen. Ich stand wie ein Götzenbild da, der Tote neben mir war nicht unbeweglicher als ich. Ich konnte hören, wie mein Herz wild zu hämmern begann, und wünschte mir erregt, daß das verdammte Ding ruhiger schlagen würde.
    Falls irgend jemand dort drinnen darauf wartete, mich mit seiner Taschenlampe zu blenden, mich zu erschießen, zu erdolchen oder mit dem Meißel abzustechen, ließ er sich Zeit. Ich gönnte meinen Lungen etwas Sauerstoff und zwängte mich dann geräuschlos seitlich durch die Tür. Die Taschenlampe hielt ich, so weit es ging, nach rechts ausgestreckt. Falls die Schurken auf eine Person schießen würden, die sie mit einer Lampe anstrahlte, dann zielten sie im allgemeinen genau auf die Lichtquelle, weil es üblich ist, eine Lampe vor sich zu halten. Das hatte ich vor vielen Jahren von einem Kollegen gelernt, dem gerade eine Kugel aus seinem linken Lungenflügel herausoperiert worden war, weil er vergessen hatte, diese Vorsichtsmaßnahme zu beachten. Wie man sieht, etwas äußerst Unkluges. Deshalb hielt ich die Lampe so weit als möglich von meinem Körper entfernt und streckte den linken Arm mit dem Messer nach hinten. Ich hoffte fieberhaft, daß die Reaktionen irgendwelcher Personen, die sich in der Kabine befinden könnten, langsamer wären als die meinen, und schaltete die Taschenlampe ein.
    Es befand sich schon jemand da, aber über dessen Reaktionen brauchte ich mir nicht den Kopf zu zerbrechen. Jetzt nicht mehr. Er hatte keine mehr. Er lag mit dem Gesicht nach unten in seiner Koje, mit jenem leeren Blick, wie ihn nur Tote haben. Schnell überflog ich mit dem Strahl der Taschenlampe die Kabine. Der Tote war allein. Genau wie in der Funkkabine gab es keine Anzeichen für einen Kampf. Um den Grund seines Ablebens festzustellen, mußte ich ihn nicht einmal berühren. Das wenige Blut, das aus der zentimeterbreiten

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