DAS SCHLOSS
nicht mit Sicherheit sagen. So schnell wie möglich setzte er sie auf dem Beifahrersitz ab, schnallte sie an und nahm selbst hinter dem Steuer Platz.
Der Wagen sprang gleich beim ersten Versuch an.
Erde und Laub wirbelten in die Höhe, als er den Allrader mit Vollgas beschleunigte. Der Wagen flog regelrecht über den engen Waldweg.
Jonas schaltete das Fernlicht ein, um einen besseren Überblick über die unübersichtliche Strecke zu bekommen.
Bitte, halte bloß alle brünftigen Rehe, Hirsche und sonstigen Waldbewohner von diesem Weg fern. Nur für ein paar Minuten , dachte er und gab weiter Gas.
Sein knappes Stoßgebet wurde erhört.
Wenigstens teilweise, denn das, was etwa zwanzig Meter voraus durch das Gebüsch brach und sich breitbeinig in der Mitte des Weges aufbaute, war tatsächlich weder ein Reh noch ein Hirsch.
Nein, bitte nicht. Kann es nicht einfach vorbei sein?
Im gleißenden Licht der Scheinwerfer konnte Jonas die langen, schwarzen Haare erkennen. Schon einmal war er mit dem jungen Mann an diesem Abend auf äußerst unerfreuliche Weise zusammen getroffen. Allerdings hatte der Typ bei ihrer ersten Begegnung einen Hammer bei sich gehabt und keinen Revolver.
Diesen richtete er nun auf den heranschnellenden Wagen.
Jonas hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, als der erste Schuss durch die Nacht peitschte. Nahezu zeitgleich schlug das Geschoss irgendwo in der Karosserie des Wagens ein.
Instinktiv duckte Jonas sich hinter das Armaturenbrett, ohne den Wagen jedoch abzubremsen. Er sah zu Vanessa hinüber, die noch immer reglos im Sicherheitsgurt des Baifahrersitzes hing.
Wenn er sie nur nicht trifft. Sie hat keine Chance, sich in Sicherheit zu bringen.
In diesem Augenblick fiel der zweite Schuss. Glassplitter regneten auf Jonas nieder. Er trat das Gaspedal durch und tauchte gerade noch rechtzeitig aus seiner Deckung auf um zu sehen, wie der Wagen die noch immer auf dem Weg stehende Person erfasste.
Es gab einen dumpfen Knall und der Wagen ruckelte kurz, als der wuchtige Kühlergrill auf den Körper des Mannes traf. Er wurde auf die Motorhaube geschleudert, sein Kopf prallte gegen die A-Säule der Fahrerseite. Ein roter Sprühregen ergoss sich durch die geborstene Frontscheibe in den Innenraum des Wagens.
Noch bevor Jonas das Geschehene erfasst hatte, war der leblose Körper in der Nacht verschwunden. Jonas blickte in den Rückspiegel und bildete sich ein, auf dem dunklen Waldweg einen leblosen, menschlichen Haufen liegen zu sehen.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er den Fuß vom Gas genommen hatte und der Wagen beinahe zum Stehen gekommen war. Wieder drückte er das Pedal bis zum Anschlag durch und der Wagen schoss über den schmalen Weg. Zweige schlugen rechts und links gegen das Fahrzeug und hinterließen mit Sicherheit deutliche Spuren im Lack. Aber das war ihm egal.
Nur weg von hier. Raus aus diesem Alptraum.
Nach wenigen Sekunden erreichte er das Ende des Weges. An der Einbiegung zur Landstraße brachte er den Wagen zum Stehen.
Noch einmal betrachtete er den Waldweg im Rückspiegel.
Nichts.
Nur tiefschwarze Nacht.
Erleichtert atmete er aus.
Dann sah er Vanessa an, die von den dramatischen Ereignissen der letzten Minuten nichts mitbekommen hatte.
Sie ist wunderschön. Bitte, lass es nicht zu spät sein. Wir brauchen beide noch Zeit. Für einander.
Dann gab er Gas und der Wagen jagte hinaus auf die verlassene Landstrasse.
EPILOG
„Es war eine gute Idee, hierher zu fahren. Einfach ein bisschen Abstand gewinnen. Eigentlich kann ich es immer noch nicht glauben. Was wir erlebt haben, ist wirklich reif fürs Kino. Aber jetzt reicht es auch. Erst mal keine Action mehr, ja?“
Jonas nickte und legte lächelnd seinen Arm um ihre Schulter. Er sah sie lange an. Auf ihre Krücken gestützt, blickte Vanessa in die über dem Meer untergehende Sonne. Ihr rechtes Bein steckte vom Knöchel bis zum Oberschenkel in einer mit Klettverschlüssen befestigten Schiene.
Ja, sie waren so gerade eben noch einmal davon gekommen. Obwohl Vanessa viel Blut verloren hatte, hatte sich ihr Zustand im Krankenhaus als weniger kritisch herausgestellt, als Jonas es befürchtet hatte. Der Querschläger aus Kids Waffe war ein glatter Durchschuss gewesen und die Verletzung würde relativ schnell wieder verheilen. Das Schlimmste war der Schock, den ihre Verletzung, vor allem aber die Ereignisse an sich, ausgelöst hatten. Aber auch in dieser Hinsicht machte sie sichtbare
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