Das Testament eines Excentrischen
fühlte sich recht befriedigt, nur hätte er gern gewußt, wie ungeduldig man hier wäre, Tom Crabbe in Cincinnati noch nicht erblickt zu haben. Deshalb wendete er sich an den ehrsamen Dick Wolgod, seines Zeichens Händler mit feineren Fleischwaaren, der mit einem Hute auf dem Kopfe, in schwarzer Kleidung, doch mit der Arbeitsschürze darüber, an der Schwelle seiner Thür stand. Er betrat den Laden des Mannes und verlangte einen Schinken, für den er ja, wie wir wissen, stets bequeme Verwendung hatte. Nachdem er ohne zu handeln bezahlt hatte, begann er wie von ungefähr beim Fortgehen:
»Morgen beginnt ja wohl die Ausstellung…
– Ja, ein hübsches Unternehmen, antwortete Dick Wolgod, eine Ausstellung, die unsrer Stadt zur Ehre gereichen wird.
– Das wird in Spring Grove einen großen Zusammenlauf geben, bemerkte John Milner.
– Die ganze Stadt wird draußen sein, bestätigte Dick Wolgod mit der Höflichkeit, die jeder Charcutier einem Kunden schuldet, der ihm eben einen Schinken abgekauft hat. Bedenken Sie nur, geehrter Herr, eine solche Ausstellung…«
John Milner spitzte die Ohren. Er war verdutzt. Wie konnte jemand ahnen, daß er die Absicht habe, Tom Crabbe in Spring Grove vorzuführen?
»Man fürchtet also, fuhr er fort, keine Verspätung, die doch möglich wäre?
– Nicht im mindesten.«
Da eben ein neuer Kunde eintrat, ging John Milner in nicht geringer Bestürzung seines Weges. Man versetze sich auch nur in seine Lage…
Kaum hundert Schritte weiter gekommen, blieb er an der Ecke der fünften Querstraße plötzlich stehen, hob die Arme zum Himmel empor und ließ dabei seinen Schinken auf das Trottoir fallen.
Hier klebte an der Wand des Eckhauses ein Placat mit großer Schrift.
»Er kommt!… Er kommt!!… Er kommt!!!… Er ist schon da!!!!« war darauf zu lesen. Wahrlich, das überschritt alle Grenzen! In Cincinnati wußte man also bereits von der Anwesenheit Tom Crabbe’s!… Man war sich darüber klar, daß bezüglich des dem Champion der Neuen Welt vorgeschriebenen Termins nichts zu befürchten sei!… Das erklärte also die freudige Stimmung, die in der Stadt herrschte, und die Befriedigung, die der Charcutier Dick Wolgod zu erkennen gegeben hatte?…
Ja, ja, es ist entschieden schwierig – sagen wir unmöglich – für einen berühmten Mann, den Unannehmlichkeiten der Berühmtheit zu entgehen, und es erschien nutzlos, Tom Crabbe in Zukunft mit dem Schleier des Incognitos zu verhüllen.
Andere, ausführlichere Maueranschläge beschränkten sich nicht auf die Mittheilung, daß er eingetroffen sei, sondern meldeten auch, daß er direct von Texas komme und auf der Ausstellung von Spring Grove zu sehen sein werde.
»Nein, das ist gar zu arg! rief John Milner. Man kennt hier meine Absicht, Tom Crabbe dahin zu bringen. Und ich… ich habe doch keinem Menschen ein Sterbenswörtchen davon gesagt! Doch, ich werde es vor Crabbe erwähnt haben, und Crabbe, der sonst nie den Mund aufthut, wird unterwegs davon gesprochen haben. Anders ist die Sache gar nicht denkbar!«
John Milner schlug hiermit schon den Weg nach dem Vorort Covington wieder ein, kehrte zum zweiten Frühstück in das Hôtel zurück, erwähnte aber gegen Tom Crabbe nichts über die von diesem unzweifelhaft begangene Indiscretion, sondern blieb nur, entschlossen, ihn jetzt noch nicht zu zeigen, den ganzen Tag bei ihm.
Am nächsten Morgen um acht Uhr begaben sich beide nach dem Strome, den sie auf der Hängebrücke überschritten, und betraten dann die Straßen der Stadt.
Die große nationale Thierschau sollte im Nordwesten davon auf dem umplankten, als Spring Grove bekannten Platze stattfinden. Schon wälzte sich eine große Menschenmenge dahin, verrieth aber – John Milner mußte sich davon sofort überzeugen – keine Spur von besonderer Unruhe. Von allen Seiten drängten sich Scharen frohgestimmter, lärmender Leute heran, deren Neugier bald darauf gestillt werden sollte.
John Milner sagte sich vielleicht, Tom Crabbe werde vor dem Eintreffen in Spring Grove erkannt werden, erkannt an seiner Gestalt, seiner Haltung, seinem Gesicht, an seiner ganzen Persönlichkeit, die Abertausende von Photographien bis zu den kleinsten Ortschaften der Union populär gemacht hatten. Doch nein, kein Mensch kümmerte sich um ihn, keiner drehte sich um, wenn er vorüber kam, keiner schien eine Ahnung zu haben, daß dieser Koloß, der seinen Schritt ganz dem John Milner’s anpaßte, der berühmte Faustkämpfer und obendrein ein Partner im
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