Das Vermächtnis von Erdsee
war, haftete jedoch auch weiterhin dem Wirken vieler Zauberer und Hexen an. Vor allem die Hexerei der Frauen wurde argwöhnisch betrachtet und verurteilt, umso mehr, als sie mit den Urmächten in Verbindung stand.
Über die ganze Erdsee verstreut galten verschiedene Quellen, Höhlen, Hügel, Steine und Wälder seit jeher als Kraftorte von besonderer Heiligkeit. Sie wurden gefürchtet und verehrt, einige waren weithin bekannt.
Bei den Kargs war die Kenntnis dieser Orte und Kräfte Kern ihrer Religion. Im Archipel war das Wissen um die Urmächte nach wie vor Teil eines großen, allgemein geteilten Fundus der Vorstellungswelt und der Verehrung. Auf sämtlichen Inseln gründeten die hauptsächlich von Hexen praktizierten Künste - wie Geburtshilfe, Heilen, Viehwirtschaft, Bewässerung, Bergbau und Metallverarbeitung, Zauber wirken, Liebeszauber und so weiter - auf einer Anrufung der Urmächte. Doch die ausgebildeten Zauberer aus Rok waren den alten Bräuchen gegenüber im Allgemeinen misstrauisch eingestellt und wandten sich nic ht an die >Kräfte der Urmutter Nur auf Paln verwoben Zauberer beide Vorgehensweisen in der geheimen und bekanntermaßen gefährlichen pelnischen Lehre.
Obwohl sie wie jede Macht im Dienst von Ehrgeiz missbraucht werden konnten (wie der Terrenon-Stein in Osskil), waren die Urmächte an sich heilig und standen über sämtlichen ethischen Werten. Während der Finsteren Zeiten und noch danach wurden sie, jedenfalls auf hardischem Gebiet, von Magiern als Hexenzauber dämonisiert, das Gleiche geschah auf kargischem Gebiet durch Priesterkönige und Gottkönige. Daher waren es im 8. Jahrhundert im Innern des Archipels nur Dorffrauen, die auch weiterhin an den alten Kraftorten Opfer darbrachten und Rituale verrichteten. Sie wurden dafür verachtet oder dazu benutzt. Magier hielten sich von solchen Plätzen fern. Auf der Insel Rok, selbst eines der Zentren der Urmächte im Archipel, wurden die gewaltigsten Manifestationen dieser Mächte - der Rokkogel und der Immanente Hain - nie als solche angesprochen. Nur die Formgeber, die ihr Leben im Hain zubrachten, waren damit betraut, die menschlichen Künste und Handlungen an die älteren Erdkräfte zu binden und damit die Magier daran zu erinnern, dass ihre Macht ihnen nicht gehört, sondern ihnen nur geliehen ist.
Geschichte des Kargadreichs
Die Geschichte der Vier Länder ist zum größeren Teil Legende und handelt von örtlichen Kämpfen und Friedensschlüssen zwischen Stämmen, Stadtstaaten und kleinen Königreichen, aus denen die kargische Gesellschaft jahrtausendelang bestand.
Sklavenhalterei war in vielen dieser Staaten üblich, und es herrschten ein strengeres soziales Kastensystem und eine striktere Geschlechtertrennung ^Arbeitsteilung^ als im Archipel.
Religion war das verbindende Element, selbst unter den kriegerischsten dieser Stämme. Über das ganze Land verstreut gab es hunderte von Kraftorten, wo weder Krieg noch Streit gestattet waren. Die kargische Religion zeichnete sich durch individuelle und gemeinschaftliche Verehrung der Urmächte aus, der unterweltlichen oder irdischen Kräfte, die sich als Ortsgeister bekundeten. Sie wurden an Ort und Stelle sowie an heimischen Altären verehrt, man brachte ihnen Blumen, Öl, Skulpturen oder Speisen dar, veranstaltete ihnen zu
Ehren Tänze, Wettkämpfe, Opfer oder Lieder oder ließ Musik und Stille erklingen. Die Verehrung war spontan und rituell, individuell und gemeinschaftlich zugleich. Es gab keine Priesterschaft; jeder Erwachsene konnte die Rituale durchführen und an die Kinder weitergeben. Diese älteren spirituellen Bräuche bestanden inoffiziell und manchmal insgeheim unter der neueren, institutionalisierten Religion der Zwillings-Götter und des Gott-Königs noch weiter.
Unter den zahllosen heiligen Hainen, Höhlen, Bergen, Hügeln, Quellen und Steinen in den Vier Ländern war der heiligste Ort eine Höhle und ein Menhir in der Wüste von Atuan, die Gräber genannt. Soweit man zurückdenken kann, war er das Ziel von Wallfahrten und die Könige von Atuan und später die von Hupun hielten dort für die Pilger eine Herberge bereit.
Vor sechs-bis siebenhundert Jahren begann sich auf den Inseln eine Himmelsreligion auszubreiten, eine Weiterentwicklung des Kults der Zwillings-Götter Atwah und Wuluah, ursprünglich die Helden einer Wüstensage aus Hur-at-Hur. Ein Himmelsvater kam zum Pantheon hinzu und zur Pflege der Rituale bildete sich eine eigene Priesterkaste heran. Ohne die
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