Das Wetter vor 15 Jahren
noch keine Ahnung. Über Riemer hätte ich Hunderte von Artikeln finden können. Über seine Auseinandersetzungen mit der Bürgerinitiative Bodenlos steht ja immer wieder einmal was in der lokalen Presse. Das hab ich dann später auch alles gefunden. Ich hatte ja, bevor ich raufgefahren bin, noch gar keine Ahnung von der ganzen Problematik mit den aufgelassenen Schächten. Davon hört man bei uns ja nicht viel. Also in der Neuen Ruhr Zeitung oder so liest man da andauernd was drüber. Literaturbeilage Über die Angst der Leute, dass sie beim Spaziergang vom schlecht verfüllten Schacht verschluckt werden.
Wolf Haas Aber in Österreich ist das natürlich kein großes Thema.
Literaturbeilage Obwohl ja interessanterweise gerade in Östreich vor ein paar Jahren so etwas passiert ist! Das kam sogar bei uns in der Tagesschau, wo die Häuser dieser kleinen Bergbaugemeinde in der Erde versunken sind. Lassnig?
Wolf Haas Lassing. Lassnig ist eine Malerin.
Literaturbeilage Lassing.
Wolf Haas Aber in der Dimension kann man das natürlich nicht einmal ansatzweise vergleichen. Das waren nur ein paar Häuser, die da versunken sind. Wenn ich an die Aufregung denke, in die das Unglück unser Land versetzt hat, da kann man sich das Bedrohungspotenzial für das Ruhrgebiet hochrechnen. Ich schätze, das Ruhrgebiet hat vielleicht fast so viele Einwohner wie ganz Österreich. Wenn die alle versinken, das wäre schon was.
Literaturbeilage Also Sie wussten eigentlich schon, als Sie rauffuhren, dass Herr Kowalski bei dieser IBR arbeitet?
Wolf Haas Ja. Infrastrukturbereinigung Ruhrgebiet. Das wusste ich eigentlich sogar schon von der GottschalkSendung. Da hat er das erwähnt. Er hat sogar einen einstudierten Witz gemacht, der etwas schlapp rüberkam. Er arbeite im Abbau. Allerdings im Abbau von Zechen.
Literaturbeilage Also im Buch kam der Witz gut rüber. Ich hab gelacht.
Wolf Haas Da hat der Autor ein bisschen nachgeholfen.
Literaturbeilage Tja, das ist auch Ihr Job. Sag ich mal so. Das heißt also, Sie hatten schon eine ziemlich klare Vorstellung von seinem Alltag, als Sie rauffuhren.
Wolf Haas Eigentlich nicht. Zechenabbau. Viel hat mir das nicht gesagt. Ich muss auch zugeben, dass ich eine anachronistische Vorstellung vom Ruhrgebiet hatte. Zum Teil lag das einfach daran, dass man als Österreicher mit dem Ruhrgebiet nichts zu tun hat.
Literaturbeilage Sie dachten, da ist am Abend die weiße Wäsche schwarz, die morgens zum Trocknen auf die Leine gehängt wurde.
Wolf Haas Also natürlich wusste ich, dass der ganze Bergbau dort mehr oder weniger stillgelegt ist. Aber wenn es keinen realen Kontakt gibt, dann sind die alten Bilder umso hartnäckiger. So ein suggestiver Begriff wie „Ruhrgebiet" erzeugt einfach gewisse Bilder. Und irgendwie war das doch - wider besseres Wissen - immer noch so eine Kohlen- und Rußvorstellung, so eine Grubenlampen- und Kumpelwelt, die in meinem Kopf abgerufen wurde, wenn ich das Wort „Ruhrgebiet" gehört habe. Oder „Ruhrpott" oder „Revier". Inzwischen weiß ich ja, dass die Bewohner diese Ausdrücke gar nicht unbedingt so verwenden.
Literaturbeilage So wie in San Francisco niemand „Frisco" sagt.
Wolf Haas So ungefähr. Oder ich kann zum Beispiel nicht jodeln.
Literaturbeilage Ach?
Wolf Haas Ich will damit nur sagen, man muss wahnsinnig aufpassen, dass man nicht aus der Ferne den dümmsten Klischees und Vereinfachungen aufsitzt. Ich war sogar versucht, ein Thema daraus zu machen, dass es auch unter Tage ein Wetter gibt. Also die ganze Grubenbewetterung. Die Wettertüren. Die Wettersteiger, also dass Vittorios Vorfahren über Generationen Wettersteiger waren. Dabei klingt das nur für mich als Österreicher irgendwie interessant und exotisch. Mit Vittorio Kowalskis Begeisterung für das Wetter im Urlaubsort seiner Kindheit hatte das natürlich überhaupt nichts zu tun.
Literaturbeilage Und wie war es dann für Sie, als Sie hinkamen?
Wolf Haas Na ja, mit der negativen Romantik war natürlich nichts. Autobahn und Nieselregen, das ist eigentlich meine Haupterinnerung.
Literaturbeilage Dafür wurde Ihre positiv-romantische Erwartung bezüglich der Liebesgeschichte -
Wolf Haas - ja, übererfüllt, muss man schon sagen.
Literaturbeilage Obwohl Sie Herrn Kowalski gar nicht angetroffen haben.
Wolf Haas Eigentlich die totale Niederlage. Nur ein Glück, dass dieser Spruch „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" nicht stimmt. In meinem Fall war es nämlich ein Riesenvorteil. Weil sein
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