Davids letzter Film
kein zweites. Wie ein glühendes Eisen durchbohrte ihn jetzt wieder das Bewusstsein, dass
er
derjenige gewesen war, der David verraten hatte, dass er schuld daran war, dass David dort lag. In dem Moment versank das
Bild im Schwarz.
Wie betäubt blieb Florian vor seinem Computer sitzen. Das also war der fertige Film, um den es David gegangen war. Jetzt,
wo er ihn ganz gesehen hatte, begriff er zum ersten Mal, was David gemacht hatte. Er hatte ihn getäuscht. Benutzt. Gesteuert.
Er hatte es darauf
angelegt
, dass Flo ihn verriet! Und zwar aus dem einzigen Grund, der ihm jemals etwas bedeutet hatte: um einen Film fertigzustellen,
genau so, wie er es geplant hatte! Um seinen Zuschauer genau das empfinden zu lassen, was er sich für ihn ausgedacht hatte.
Flo musste es zugeben. So, wie David ihn zu Ende geführt hatte, funktionierte der Film. Genau das, was Florian an »Tabu« bemängelt
hatte – dass man als Zuschauer David nicht ausstehen konnte –, genau das war im »Florian«-Film nicht mehr der Fall. Im Gegenteil. Hier ergriff man Partei für den Verratenen, auch wenn
er zunächst einen Standpunkteingenommen hatte, der einem instinktiv widerstrebte. Man sah, wie er dafür kämpfte, man sah, wie er für seinen Standpunkt
gejagt und letztlich getötet wurde. Und das nahm einen für ihn ein. Wie auf Befehl änderte sich dadurch das Urteil, das man
sich als Zuschauer gebildet hatte. Hier hasste man David nicht mehr, hier liebte man ihn – und hasste Flo, weil er den Freund
verraten hatte.
Flos Blick wanderte zum Fenster, vor dem die ersten Strahlen der Morgendämmerung die Nacht zu vertreiben begannen.
Erst jetzt, als er darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass in dem Film sein ganzer Berlin-Aufenthalt getreu begleitet worden
war. Nur ein Detail fehlte. Der wahre Grund, warum er David verraten hatte! In dem »Florian«- Film schien es, als habe er seinen Freund ans Messer geliefert, weil er in seiner Eitelkeit gekränkt worden war. Weil er es nicht
ertrug, dass David ihm ins Gesicht gesagt hatte, dass er besser war. In Wahrheit aber hatte Florian es getan, weil David den
Jungen in seinem »Audience«- Projekt hatte töten lassen!
Er starrte aus dem Fenster. Da stimmte doch etwas nicht! Hastig klickte er den Bildschirmschoner weg, der sich auf den Monitor
gelegt hatte, und den Browser, in dem der Film gelaufen war. Darunter kam Riemschneiders Mail zum Vorschein. An ihrem Ende
waren die Telefonnummern des Beamten verzeichnet. Im LKA. Und mobil. Wahrscheinlich würde er ihn wecken, aber das war Flo jetzt egal. Er wählte die Handynummer.
»Riemschneider.« Die Stimme des Beamten klang heiser und verschnupft.
Flo machte es kurz. Es ging ihm um Hannes.
»Sie sagten, Hannes Marin hätte Ihnen den Tipp gegeben, der Sie zu der Kamera vom ›Audience‹-Film geführt hat.«
Durch die Leitung hörte er, wie Riemschneider sich eine Zigarette anzündete. »Und?«
»Gibt es dazu was Neues?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nur so eine Idee.«
»Es ist erstaunlich, dass Sie das fragen. Ja, es gibt tatsächlich was Neues. Wir sind noch mal die Sachen durchgegangen, die
wir im Haus des Kameramanns beschlagnahmt hatten. Dabei hat sich gezeigt, dass Marin nicht selbstständig gehandelt hat, als
er uns den Tipp gegeben hat.«
Flo atmete aus. »Nicht?«
»Nein. Im Gegenteil. Er hat in Mosbachs Auftrag gehandelt.«
Flo nickte. Natürlich. Es musste so gewesen sein. Wenn David
wollte
, dass Flo ihn verriet, musste er auch derjenige gewesen sein, der die Polizei auf seine Spur brachte.
Da sprach Riemschneider schon weiter. »Und wir haben noch etwas gefunden. Die Belege, die Marin uns besorgt hat, passten nicht
zusammen.«
»Zusammen womit?«
»Sie müssen das verstehen, Baumgartner. Es ging alles sehr schnell. Wir hatten keine Zeit, die Spuren eingehend zu prüfen.
Und ich wusste, dass ich Sie unter Druck setzen musste, wenn ich an Mosbach herankommen wollte.«
»Der Junge aus dem ›Audience‹-Film?«
»Er ist nicht tot.«
Flo schluckte.
»Die Aufnahmen der Wasserleiche waren sogar schon ziemlich alt«, fuhr Riemschneider fort. »Die stammten aus dem Jahr 2005,
von einem Fall, der längst abgeschlossen war und nichts mit Mosbach zu tun hatte. Aber das haben wir erst Wochen nach Mosbachs
Tod endgültig feststellen können. Keine Ahnung, wie Marin an die Aufnahmen herangekommen ist. Jedenfalls waren wir aufgrund
der Fotos davon überzeugt, dass der Junge, den man in dem
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