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Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Titel: Deer Lake 01 - Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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Zweifel? Hatte er sie alle verraten? Die Fragen wanden sich in ihrem Magen wie ein Schlangenknäuel, giftige, gräßliche Kreaturen, über die sie keine Kontrolle besaß. Sie wandte ihren Blick hinauf in das himmelstrebende Gewölbe der Kirche, zu dem komplizierten, riesigen Glasfenster von Jesus mit einem Lamm auf dem Arm. Sie starrte auf das reichgeschnitzte Kruzifix und Christus, der vom Kreuz aus auf den
Hochaltar herabblickte. So menschenleer war die Kirche ein höhlenartiger, kalter Ort, wo sie sich klein und machtlos vorkam.
    »Die Polizei hat gestern seine Fingerabdrücke abgenommen«, murmelte sie im leisen Tonfall einer Beichte.
    »Ich weiß.«
    »Sie sagen es nicht, aber sie verdächtigen ihn.«
    »Was glaubst du?«
    Sie schwieg, während die Schlangen in ihr weiterkämpften. »Nichts weiß ich.«
    Mit geschlossenen Augen atmete sie zitternd aus. »Ich sollte nicht an ihm zweifeln. Er ist mein Mann – ist der einzige Mensch, dem ich vertrauen sollte. Ich habe immer gedacht, wir sind die glücklichsten Menschen der Welt«, wisperte sie. »Wir haben uns geliebt in Vertrauen und Respekt, haben eine Familie gegründet, kannten unsere Prioritäten. Jetzt frage ich mich, ob irgend etwas davon real oder ob es nur ein flüchtiger Augenblick war. Ich hab das Gefühl, unsere Leben waren vielleicht dazu bestimmt, nur für eine kurze Weile auf derselben Ebene zu verlaufen, und jetzt bewegen wir uns in entgegengesetzte Richtungen, wir können nicht einmal mehr miteinander reden. Es ist wie ein Betrug, und ich bin die Dumme. Wie soll es nur weitergehen?«
    Sie klang so verloren. Bei aller Tüchtigkeit und Intelligenz war Hannah auf so eine Katastrophe doch schlecht vorbereitet. Von ihrer Art Leben träumten die meisten Leute. Sie kam aus einer liebevollen Familie, hatte einen guten Start gehabt, vieles erreicht, überragende Zeugnisse bekommen, einen gutaussehenden Mann geheiratet und eine nette Familie gegründet. Nie müßte sie die Werkzeuge für den Umgang mit Schmerz und Widrigkeiten entwickeln. In seinen Augen sah sie jetzt entwurzelt aus, schutzlos, und er ertappte sich dabei, wie er Gott für seine Grausamkeit verfluchte.
    »O Hannah«, er wehrte sich nicht dagegen, daß er ihr eine Strähne von der Wange strich. Er war gut geschult in der Kunst des Zuspruchs; aber wenn er je einen Funken Weisheit besessen hatte, bei dieser Frau war er hilflos. Nichts konnte er ihr bieten, außer leeren Worten und sich selbst.
    Sie wandte sich zu ihm, legte ihren Kopf an seine Schulter. Ihre Tränen durchtränkten seinen Pullover. Ihre erstickten Worte zerrten an seiner Seele.
    »Ich versteh es einfach nicht, wo ich mir doch solche Mühe geb!«

    Um mit etwas fertig zu werden, was ihr Leben nie hätte berühren sollen!
    Tom nahm sie in die Arme und hielt sie schützend, zärtlich fest. Er blickte durch seine leere Kirche zu den Votivkerzen – kleine Flammenzungen in kobaltblauem Glas, Symbole der Hoffnung, die unbeantwortet ein letztes Mal aufflackerten und erloschen. Die Angst, die in ihm gähnte, ließ ihn Hannah fester umarmen, und ihre Arme stahlen sich um seine Taille, ihre Finger gruben sich in die weiche Wolle seines Pullovers. Er rieb mit einer Hand ihren Rücken, auf und ab, strich durch das feine Haar in ihrem Nacken. Er atmete ihren sauberen, feinen Geruch ein und spürte den Schmerz der Sehnsucht, die er nie gekannt hatte. Eine Sehnsucht, die zu der Art Liebe gehörte, die Männer und Frauen von Anbeginn der Zeiten zueinanderführte.
    Er fragte nicht, warum. Warum Hannah. Warum jetzt. Die Fragen und Vorwürfe konnten warten. Ihr Verlangen nicht. Mit ihr in seinen Armen hielt er den Atem an, betete, daß die Zeit stillstehen möge, nur für einen Augenblick, weil er wußte, daß dies keine Zukunft hatte. Er hauchte einen Kuß auf ihre Schläfe und kostete ihre Tränen, salzig und warm.
    »Sünder!«
    Die Anklage krachte wie Donner vom Himmel. Aber das Brüllen kam nicht von Gott, sondern von Albert Fletcher. Der Diakon trat hinter dem Paravent hervor, der die Tür zur Sakristei verbarg. Er flog die Treppe herunter, ein schwarzer Derwisch, mit wilden Augen, den Mund weit aufgerissen, mit einer großen Steingutschale in der Hand. Gleichzeitig öffneten sich die Tore am anderen Ende der Kirche. Die morgendlichen Gläubigen wanderten herein und erstarrten angesichts des Bildes, das sich ihnen bot.
    Pater Tom sprang auf. Hannah drehte sich zu Fletcher um. Er kam auf sie zu, ein Irrer, kreischend wie ein Unhold aus einem

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