Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
Sportplätze.
Unwillkürlich muss er an seine Frau denken. Sie hat genauso gelebt, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. War nicht viel älter als die Mädels dort auf dem Sofa; ihre Augen ebenso misstrauisch, ihre Welt genauso klein …
»McAvoy!«
Als er sich umwendet, sieht er Helen Tremberg und Inspektor Ken Cullen schnellen Schrittes vom angrenzenden Fußballfeld auf sich zukommen. Er winkt, nicht ganz sicher, ob sie ihn für einen Helden oder einen Narren halten, der sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen.
»McAvoy? Habe ich das richtig verstanden?«
Es liegt ein spezieller Unterton in der Art, wie der alte Rom den Namen wiederholt. Er sagt McAvoy, dass man ihn hier kennt.
Er hat keine Gelegenheit, darauf einzugehen. Die Wolken, die schon eine ganze Weile am Himmel stehen, teilen sich. Brechen auf. Regen donnert herab. Tremberg, die nicht gerade zimperlich ist, stößt ein Kreischen aus und zieht hastig die Kapuze ihres Anoraks hoch. Die Roma stoßen eine Kakophonie von Verwünschungen aus, und McAvoys neuer Freund ruft Befehle mit so starkem Akzent, dass er ebenso gut eine fremde Sprache sprechen könnte. Ein halbes Dutzend junger Männer taucht aus den Caravans auf, und die Sofas werden rasch unter Planen verzurrt, während die Fenster zuklappen.
»Meine Güte«, sagt Tremberg, während sie ihre Kapuze zuzieht und hastig den Rückzug zu ihrem Wagen antritt. »Die sind ja tatsächlich Ninjas!«
McAvoy folgt ihr nicht. Er steht mit weit ausgebreiteten Armen da und lässt sich von dem Regenschauer bis auf die Haut durchnässen. Er weiß, dass bei der Besprechung heute Morgen für ihn alles auf dem Spiel steht. Es wird eine schmerzhafte Erfahrung sein. Aber er weiß auch, dass er sich das Leben ein bisschen einfacher macht, wenn er lediglich patschnass auftaucht statt von Kopf bis Fuß mit Pferdemist bekleckert.
Kapitel 2
09 : 31 Uhr. High Street, Old Town.
Peitschende Regenvorhänge ziehen unter einem zinngrauen Himmel durch.
Eine schmale Reihe eleganter alter Handelspaläste. Versicherungsbüros und Anwaltskanzleien, Kunstgalerien und Museen.
Detective Sergeant Aector McAvoy rennt durch den Regen – seine Aufzeichnungen für die Besprechung unter dem durchnässten Mantel verborgen. Regen spritzt ihm von Lippen und Nase.
Seine Füße gleiten auf dem Mosaik aus, das am Ende der Eingangsstufen als eine Art Türvorleger für das Hauptquartier der Polizeidirektion dient: eine Rose aus roten und weißen Kacheln unter einem teuren Bogen aus Holz und Glas.
Er zückt seinen Ausweis vor dem Sicherheitsbeamten am Eingang und springt drei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauf.
Assistant Chief Constable Everett erwartet ihn vor dem Konferenzzimmer. Er ist makellos gekleidet, die blaue Uniform frisch gereinigt und gebügelt.
»Mein Gott, Sergeant!«
Everett ist sprachlos bei dem Anblick, den Aector McAvoy bietet. Er soll hier das moderne Antlitz der Polizei von Humberside repräsentieren. Gebildet, höflich, ein ausgemachter Computerexperte voll Respekt für jede neue Richtlinie, die seine Vorgesetzten ersinnen. In dieser Funktion hat er dem Assistant Chief bei zahllosen Komiteesitzungen und öffentlichen Auftritten bereits gute Dienste geleistet.
»Mein Gott, wie sehen Sie denn aus?! Ich brauche Sie in Hochform, Mann!«
Genau genommen ist es nicht nötig, dass ein Detective Sergeant vor der Polizeidirektion erscheint, aber ACC Everett befürchtet einige unangenehme Fragen seitens des neuen Vorsitzenden, und da soll McAvoy für ihn in die Bresche springen. Er hofft, dass McAvoy statt seiner im Kreuzfeuer der Kritik landet.
»Tut mir leid, Sir«, keucht McAvoy außer Atem. »Da war ein Pferd …«
Everett, ein Mann mit schmalem, rattenartigem Gesicht, hat es geschafft, bis zum zweithöchsten Rang der Truppe aufzusteigen, ohne dass man ihm irgendwelche besonderen Qualitäten nachsagen könnte. Er packt McAvoys Mantel und streift ihn ihm gewaltsam von den Schultern. Bevor McAvoy protestieren kann, zieht er einen Kamm aus seiner Gesäßtasche und setzt dazu an, seinem Untergebenen die Haare zu kämmen.
McAvoy weicht zurück. Schnappt sich den Kamm.
»Danke, Sir.«
Er tut sein Bestes. Glättet die Haare und streift mit Zeigefinger und Daumen die Feuchtigkeit aus dem Schnurrbart. Kommt langsam wieder zu Atem. Knöpft sein Jackett zu und ordnet den Krawattenknoten. Wringt seine Manschetten aus und glättet die Falten mit der Handfläche.
Folgt Everett in den Konferenzraum.
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