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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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noch dunkler.
    Als der Chemiker in seinem Stuhl sich wieder dem Grübeln überließ, da schrumpfte die frische Stechpalme an der Wand zusammen und fiel herab – als totes Blattwerk.
    Wie das Dunkel und der Schatten hinter ihm sich immer mehr verdichteten, entstand daraus – langsam und allmählich durch einen jener unwirklichen unstofflichen Prozesse, die kein Menschenauge bewachen kann – ein grausiges Konterfei seines eigenen Selbst! Geisterhaft und kalt, farblos das bleierne Antlitz und die Hände – mit seinen Zügen aber und seinen funkelnden Augen und seinem ergrauenden Haar und angetan mit seinem schwarzen Schattenkleid –, nahm es einen grauenhaften Schein von Leben regungslos und lautlos an. Während er den Arm auf die Polster seines Stuhles stützte und grübelnd vor dem Feuer saß, lehnte sich das Phantom auf die Rückenlehne dicht über ihn und blickte mit dem grausigen Abbild seines Gesichts dorthin, wohin auch seine Augen sahen, und nahm den Ausdruck an, den auch er trug.
    Das war also das Etwas, das vorhin vorübergehuscht und verschwunden war! Es war der grauenhafte Doppelgänger des Behexten.
    Eine Weile lang schien es ihn nicht mehr zu beachten als er das Phantom. Die Weihnachtsmusikanten spielten irgendwo in der Ferne, und er schien mit träumenden Sinnen der Musik zu lauschen. Das Phantom tat dasselbe.
    Endlich begann er zu sprechen, ohne sich zu bewegen oder aufzublicken.
    »Wieder hier!« sagte er.
    »Wieder hier«, antwortete das Gespenst.
    »Ich sehe dich im Feuer«, sagte der Behexte, »ich höre dich in der Musik, im Winde, in der Totenstille der Nacht.«
    Das Phantom nickte zustimmend mit dem Kopf.
    »Warum kommst du, warum verfolgst du mich?«
    »Ich komme, wenn man mich ruft«, sagte der Geist.
    »Nein, ungerufen!«
    »Sei es, ungerufen«, sagte der Spuk, »genug, ich bin da.«
    Bisher hatte der Schein des Feuers die beiden Gesichter beschienen, sofern die schrecklichen Umrisse hinter dem Stuhl ein Gesicht genannt werden durften. Beide hatten wie zuerst sich nach dem Feuer hingewandt und einander nicht angesehen. Jetzt aber drehte sich der Behexte plötzlich um und starrte den Geist an. Ebenso rasch huschte das Phantom vor den Stuhl und starrte den Chemiker an.
    Es war, als wenn der Lebendige und das belebte Bild seiner eigenen Leiche einander in die Augen blickten. Ein grausiges Schauspiel in diesem einsamen und entlegenen Teil des alten, kaum bewohnten Gebäudes an einem Winterabend, wo auf seiner geheimnisvollen Reise der laute Wind vorbeibraust, von dem seit Weltbeginn keiner weiß, von wannen er kommt und wohin er geht, und wo die Sterne in Milliarden herniederglitzern aus dem ewigen Weltenraum, dem der Erde Koloß ein Sandkorn ist und ihr graues Alter wie Kindheit.
    »Sieh mich an«, sagte der Spuk, »ich bin der, welcher, vernachlässigt in der Jugend und elend und arm, strebte und litt und immer strebte und litt, bis er das Wissen aus der Tiefe geholt, wo es begraben gelegen, der sich rauhe Stufen schlug, wo sein wunder Fuß ruhen und emporklimmen konnte.«
    »Ich bin der«, antwortete der Chemiker.
    »Keiner Mutter selbstverleugnende Liebe«, fuhr das Phantom fort, »keines Vaters Ratschlag halfen mir. Ein Fremder trat an meines Vaters Stelle, als ich noch Kind war, und leicht war ich meiner Mutter Herzen entfremdet. Meine Eltern gehörten, mild beurteilt, zu denen, deren Sorge bald aufhört und deren Pflicht bald getan ist – – die ihre Sprößlinge früh hinaus in die Welt stoßen, wie die Vögel – –, die das Verdienst ernten, wenn sie gut werden, und das Mitleid beanspruchen, wenn sie mißraten.«
    Das Phantom schwieg und schien ihn reizen zu wollen mit seinem Blick, mit dem Ton seiner Rede und seiner eigenen Art zu lächeln.
    »Ich bin der«, fuhr es fort, »der während des heißen Ringens, aufwärts zu klimmen, einen Freund fand. Ich hob ihn empor und gewann ihn, fesselte ihn an mich. Wir arbeiteten zusammen, Seite an Seite. Alle Liebe und alles Vertrauen, das seit meiner frühesten Jugendzeit sich nicht hatte äußern dürfen, schenkte ich ihm.«
    »Nicht alles«, sagte Redlaw heiser.
    »Nein, nicht alles«, antwortete das Gespenst, »ich hatte eine Schwester.« Der Behexte stützte das Gesicht auf seine Hände und wiederholte: »Ich hatte eine Schwester.«
    Tückisch lächelnd trat das Phantom näher an den Stuhl, stützte das Kinn auf die gefalteten Hände, beugte sich über die Stuhllehne und sah mit forschenden Augen, die vom Feuerglanz zu leben

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