Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
seine Fittiche genommen. So ist es, Vogel. Aber – ich wünschte, er hätte es auf eine andere Art getan.«
    Anna stützte den Kopf in die Hände. Und wie an so manchen Abenden fragte sie sich, ob die Entscheidung richtig war, ein derart zurückgezogenes Leben zu führen. Als Rosa noch im Stift weilte, war es heiterer gewesen.
    Ein klagendes Miauen weckte die Schreibmeisterin Anna aus ihren Grübeleien. Eine prächtige rote Katze strich um ihre Knie und begehrte, gestreichelt zu werden.
    »Komm, Feli. Komm auf meinen Schoß.«
    Das Tier sprang hoch und rollte sich mit einem zufriedenen Schnurren auf ihrem Rock zusammen. Feli war zur anerkannten Stiftskatze aufgestiegen und hatte das Mäusefangen in den Vorratsräumen übernommen. Nunließ sie sich genüsslich von Annas Fingern kraulen, und während sie so gedankenverloren in dem warmen, vibrierenden Fell spielte, formte sich ein Bild in ihrem Geist. Es wurde klarer und klarer, und die Worte, die es begleiten sollten, standen wie in goldenen Lettern vor ihr.
    Das rätselhafteste Stifterbild, das je ein Stundenbuch erhalten hatte, entstand mit schnellen Strichen des Silbergriffels auf dem Pergament. Es war ein blauschwarzer Rabe mit ausgebreiteten Flügeln, der auf einem Eichenast saß. Und auf den feinen rot punktierten Linien schrieb Anna sorgfältig die Worte aus dem 91. Psalm: »Mit seinen Fittichen schirmt er mich, unter seinen Flügeln finde ich Zuflucht, Schild und Schutz ist seine Treue.«
    Und während sie zeichnete, wanderten ihre Gedanken zum kommenden Tag.
     
    Der Plektrudistag war ein herrlicher Sommertag in diesem Jahr. Anna hatte der Messe beigewohnt und auf der Singempore zusammen mit den Kanonissen die Choräle vorgetragen. Für ihren vollendeten Chorgesang war das Stift in ganz Köln bekannt. Nun suchte sie ihre Kammer auf, um sich von Valeska in ihr neues Kleid helfen zu lassen. Goldgelb war es und mit dunkelroter Seide gefüttert, die an den gebauschten und geschlitzten Ellenbogen und an den an den Schultern angenestelten Ärmeln wirkungsvoll hervorquoll. Nachdenklich sah sie dabei die jetzt ungefähr vierzehnjährige Magd an. Valeska war in den letzten Monaten gewachsen, und selbst bei aller Anstrengung würde sie nicht mehr als Junge durchgehen. Sie war ein hübsches Mädchen geworden, auch wenn ihrem Gesicht eine rundliche Lieblichkeit fehlte. Ihre Nase war ein wenig zu scharf geschnitten,ihr Mund zu breit. Aber er war fast immer zum Lachen
 bereit, und gelegentlich kamen treffende, aber nicht be
 sonders schmeichelhafte Bemerkungen aus ihm heraus.
    »Das wird Frau Rosa in den Schatten stellen! Sie ist blond und kann solche goldene Farben nicht tragen.«
    »Dafür sieht sie in anderen überwältigend aus, wie sie uns regelmäßig vorführt!«, kicherte Anna.
    »Sie ist höllisch hochnäsig geworden, die edle Frau Ratsherrin!«
    Anna drohte der vorlauten Magd zwar mit dem Finger, musste ihr aber dennoch zustimmen. Ja, Rosa hatte es nicht lassen können, den Stiftsdamen immer mal wieder ihre neue Stellung unter die Nase zu reiben. Besonders gern rauschte sie in vollem Prunk und Staat in die Messe, bei der sich die Kanonissen in ihren dunklen Gewändern zeigten. Die vielen kleinen Sticheleien in den Jahren ihres Aufenthaltes hatte sie nicht vergessen.
    »Sie kommt heute nicht, Valeska. Und ich will die beiden Ringe tragen, den Siegelring und den Bernsteinring. Beide passen zu diesem Gewand.«
    »Und das goldene Kreuz oder die Kette aus Neapel?« »Nein. Heute nicht.«
    Hrabanus hatte ihr seither einige passende Kleinode gegeben, darunter Fibeln und Spangen und einen Rosenkranz aus zierlich geschnitzten Korallen. Nach seiner Genesung von dem furchtbaren Wechselfieber hatte er ihr jedoch eine kostbare Perlenbrosche geschenkt. Sie hatte die Schmuckstücke angenommen, denn sie wusste, dass er ihr eine Freude damit machen oder eine unklare Schuld abtragen wollte. Heute würde er auch wieder das Stift besuchen, und sie freute sich darauf, ihn zu sehen. In den beiden vergangenen Jahren war er in der Zeit um den Plektrudistag auf Reisen gewesen, und das Fest war nicht das, was es für sie sein sollte.
    Diesmal kam er jedoch, Rosa hingegen begleitete ihn nicht. Aber dank der Privilegien, die Hrabanus im Stift genoss, konnten Anna und er sich nach dem Festmahl in den Gärten der Äbtissin unterhalten.
    »Du siehst sehr anmutig aus, mein Kind«, begrüßte er sie, als sie ihm auf den schnurgraden, gepflegten Pfaden des Gartens entgegenkam, der nach Art der

Weitere Kostenlose Bücher