Der magische Turm
Hugh Walker
DER MAGISCHE TURM
Als Mythor durch die Öffnung stieg, war es, als käme er in eine andere Welt. Selbst die unmittelbaren Erinnerungen an seine Gefährten verblassten und wurden unwirklich.
Ein ungreifbarer Vorhang fiel in schweren Falten über die Vergangenheit. Es war, als ob er aus dem Wasser in die leere Weite der Luft emportauche oder als trete er aus einem Verlies in die unbegrenzte Freiheit.
Und dennoch wusste er instinktiv, dass vor ihm keine Freiheit lag. Er empfand keine Furcht. Die besorgten Gesichter der Gefährten waren flüchtige Traumbilder, die er vergeblich festzuhalten suchte. Er wusste, dass sein Name Mythor war, aber er bedeutete nichts.
Er war hier, um etwas zu erringen. Hier, das war Althars Wolkenhort, ein magischer Turm, den eine Wolke krönte und der den Helm der Gerechten barg. Daran erinnerte er sich klar, und das erschien ihm seltsam, denn alles andere, an das er sich zu erinnern versuchte, war so undeutlich.
Er war hier, um sich etwas zu holen! An diesen Gedanken klammerte er sich. Er erfüllte ihn mit Zuversicht. Doch die Zuversicht schwand rasch, als ihm bewusst wurde, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, was es war, das er holen wollte.
Er fühlte sich nackt und verwundbar. Nur Alton lag mit einer beruhigenden Vertrautheit in seiner Rechten. Das Schwert gab ihm Kraft und Mut. Seine alte Neugier und Entschlossenheit kehrten wieder. Er schob alle Grübeleien zur Seite und trat aus der Unwirklichkeit wie aus einem Traum.
Der Raum vor ihm war groß. Größer als... Aber er wusste nicht mehr, womit er ihn vergleichen wollte. Da war eine vage Erinnerung in ihm, dass er über Stufen hierhergekommen war. Er wandte sich um und erkannte, dass er an der Wand des Raumes stand. Nichts zu sehen von einer Öffnung im Boden, durch die eine Treppe in die Tiefe führte. Er schüttelte den Kopf.
Und erstarrte mitten in der Bewegung. Der runde Raum war von düsterem Licht erfüllt, das durch schmale Öffnungen in der Wand drang. Und mitten aus dieser Düsternis klangen tuschelnde Stimmen zu ihm, gefolgt von einem unterdrückten Kichern, das ihn schaudern ließ.
Dann verstand er einige Worte deutlich: »Wacht auf! Wacht auf; ein Neuer!«
»Wer ist es?«
»Wisst ihr schon etwas über ihn?«
»Seine Gedanken. seine Gedanken. nehmt sie ihm weg!«
»Ja, holt sie!«
»Holt sie. holt sie!«
»Seid doch still! Wir haben sie längst.«
»So sagt schon, wer ist er?«
»Wer ist er?«
»Wer ist er?«
»Er.«
»Ja?«
»Er ist niemand.«
»Niemand?«
»Niemand?«
»Er weiß es selbst nicht, wer er ist.« »Ohhhhh.!«
Die Enttäuschung hing fast greifbar in der Luft. »Warum weckt ihr uns, wenn niemand gekommen ist?« Unterdrücktes Lachen folgte.
»Hat er keinen Namen?«
»Nein, er weiß keinen Namen.« »Ich bin Mythor!« entfuhr es ihm.
Aber sie achteten gar nicht darauf. Sie kümmerten sich nicht um seine Anwesenheit. Sie sprachen gar nicht von ihm. Wie sollten sie auch?
»Sie sind nicht hier«, murmelte er. »Sie sind irgendwo in diesem Turm.«
Aber ihr Flüstern war so deutlich, als wären sie neben ihm, als könne er sie berühren, wenn er nur die Hand ausstreckte.
»Keinen Namen?«
»Niemand?« tuschelten sie.
»Lassen wir niemand ein?«
»Ja, wir lassen niemand ein.« Erwartungsvolle Stille folgte.
Mythor sah sich unsicher um. Der Raum war leer. Nichts hing an den Wanden, nichts stand auf dem steinernen Boden. Nur an der gegenüberliegenden Wand führte eine steile Treppe nach oben und endete an der Decke. Doch das spärliche Tageslicht, das durch die schmalen Öffnungen in der Wand fiel, ließ es ihn nicht genau erkennen.
Da es aber offenbar der einzige Ausweg aus diesem Raum war, setzte er sich darauf zu in Bewegung. Dabei betrachtete er verwundert sein Schwert, das im Halbdunkel leuchtete.
Eine seltsame Waffe, dachte er. Da war ein Augenblick vager Vertrautheit mit dem Anblick des leuchtenden Schwertes verbunden, doch er schwand rasch.
Er dachte: Weshalb bin ich hier? Was tue ich nur hier? Aber er vergaß es, bevor er noch über eine Antwort nachgrübeln konnte.
Dann dachte er: Wo bin ich eigentlich?
Aber es war, als greife jemand nach seinen Gedanken, noch während er sie dachte, und entreiße sie ihm.
Da war nichts mehr, an das er sich erinnern konnte. Und in diesem leeren Raum, ohne Erinnerungen, gab es nichts mehr, woran er denken konnte. So hörte er auf zu denken.
Er blieb mitten im Raum stehen und starrte blicklos in die
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