Der Bodyguard: Zwischen High Society und Unterwelt (German Edition)
versuchte, sie ihm aus der Hand zu schlagen. In dem Moment lief der Mann mit der Machete auf ihn zu. Er holte aus und erwischte den Sicherheitsmann Roman H. unterm Auge, aber nur leicht. Er ließ vorerst ab. Später gelang es dem Sicherheitsmann, den Räuber wieder in den Schwitzkasten zu nehmen. Ein Hotel-Azubi schnappte sich sofort die von dem festgehaltenen Räuber fallen gelassene Tasche und stellte sie sicher. Darin war knapp eine halbe Million Euro.
Mit dem Rest der Beute, 242 000 Euro, konnten die Männer fliehen. Sie rannten durch die Menge der Menschen im Einkaufszentrum am Potsdamer Platz, sprangen in einen schwarzen Mercedes und rauschten ab.
Der bewaffnete Raubüberfall hat keine zehn Minuten gedauert. Ein Schreck ging durch Berlin, über den hinterher alle lachten. Kurze Zeit später, am Nachmittag schon, sprach die halbe Stadt über den Überfall. Radio, Fernsehen, Zeitungen berichteten von der Sensation. Man kann sie sich jederzeit im Internet ansehen.
Zwei Tage später titelte die B.Z. »Polizei lacht über die Poker-Bande«, und die taz amüsierte sich über »die trotteligen Vier vom Pokerturnier«. Es lacht nicht nur die Polizei, sondern die ganze Stadt. So dämlich haben sich die Pokerräuber angestellt.
Der Polizeipräsident von Berlin, Dieter Glietsch, sagt schon am Montag nach dem Überfallwochenende: »Die Täter werden angesichts der Berge von hinterlassenen Spuren sehr schnell gefasst.«
Einer trug keine Handschuhe. Einer riss sich mitten in der Menge der erstaunten Passanten die Sturmhaube vom Gesicht. Das Autokennzeichen schrieb sich ein Passant auf. Das Auto war nicht mal geklaut, sondern auf einen Verwandten des Pokerräubers zugelassen. Und überhaupt: Die ganze Aktion wurde ja gefilmt. Jede Bewegung des Mannes mit dem roten Blouson und den Lederslippern, den der Sicherheitsmann Roman im Schwitzkasten hatte, kann sich jeder Mensch ansehen. Es kommen dann noch hinzu: regelmäßiges Boxtraining, ausgerechnet beim Polizeisportverein, und letzte Absprachen mitten in der Öffentlichkeit, bei McDonald’s nämlich, keine 50 Meter vom Tatort entfernt.
Zwei Wochen später gab es mehrere Hauptverdächtige: Am 15. März stellte sich Mehdi Z. [1] und verriet die Namen seiner Komplizen. Ein paar Tage darauf schnappte die Polizei bei einer zufälligen Kontrolle in Mitte Ibrahim F. Als Omar A. von seinem Fluchtziel Istanbul in Berlin-Tegel landete, nahm die Polizei ihn fest. Und kurz darauf auch Mohammed S., der offenbar lieber in Berlin als in Beirut im Gefängnis sitzen wollte.
Die Beute blieb verschollen. Die Hintermänner auch.
Wenn man den Männern ins Gesicht schaut, muss man an die Daltons denken. Nicht die echten, sondern die Comicfiguren von Lucky Luke.
Der Mann im linken Glaskäfig ist Jussuf Ch. Er ist ein enger Verwandter des bereits verurteilten Mohammed S., er ist ein junger Mann Ende 20, und soll den »Coup« mit eingefädelt haben.
Der Mann im rechten Glaskäfig ist Amir J. Und er soll der Drahtzieher des Überfalls sein?
Es ist Anfang Oktober 2010, der Prozess läuft seit August. Davor waren »die trotteligen Vier« rechtskräftig verurteilt worden. Nach nur zwei Wochen Verhandlung hatte die Jugendstrafkammer des Berliner Landgerichts das Urteil gefällt: Der Kronzeuge Mehdi Z. bekam für schweren Raub und gefährliche Körperverletzung drei Jahre und neun Monate; die anderen drei bekamen Jugendstrafen von je drei Jahren und sechs Monaten Haft.
Für heute hat der Vorsitzende Richter einen besonderen Zeugen aufgerufen. Er sagt zum Gerichtsbeamten: »Sie können jetzt den Zeugen Michael Kuhr hereinholen.«
Die Männer in der ersten Reihe setzen sich auf, Spannung schießt in ihre muskulösen Körper. Amir, im rechten Glaskäfig, verändert zwar seine Haltung kaum – er bleibt meist eingesunken und lächelt ab und an einigen Besuchern zu. Doch auch er blickt nun zur Tür.
Die Männer in der ersten Reihe sind seine Brüder. Die beiden alten Leute in der zweiten könnten die Eltern sein. Die Familie J. kennt jeder B.Z.-Leser, jeder Polizist, halb Berlin und die ganze Berliner Unterwelt: Sie sind eine der »arabischen Großfamilien« in Berlin. Es gibt etwa 30 Großfamilien mit arabischer Herkunft in Berlin. Strafrechtlich auffällig ist eine Handvoll Clans von 50 bis mehr als 500 Mitgliedern, vorwiegend mit libanesisch-kurdischem Hintergrund. Regelmäßig sind sie in den Schlagzeilen. Sie sollen einen Großteil der Unterwelt beherrschen. Mit Geschäften in
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