Der Fluch - Das Tal - Season 2 ; Bd. 1
hätte. Ich muss nach oben, muss irgendeinen Weg finden, aus diesem Loch zu klettern, sonst ist es für Muriel zu spät.
»Ich komme wieder«, sage ich laut und versuche, meiner Stimme Sicherheit zu verleihen. »Ich komme gleich wieder.«
Der Griff ihrer kalten Finger wird kräftiger. Sie wendet den Kopf langsam hin und her. Mir scheint, sie will mir eine Antwort geben. Ich beuge mich über sie. Mein Herz schlägt dumpf und schwer und gleichzeitig breitet sich eine nie gefühlte Kälte in mir aus. Ich spüre eine klebrige Flüssigkeit, die über meine Finger rinnt. Muriels Blut. Dennoch lasse ich ihre Hand nicht los.
»Ich habe keinen Empfang, Muriel. Ich muss Hilfe holen. Hör zu, ich versuche, nach oben zu klettern. Keine Sorge, ich bin gleich wieder zurück.«
Wieder diese verneinende Kopfbewegung.
Das Handy geht aus. Ich drücke irgendeine Taste. Der schwache Lichtschein erleuchtet ihr Gesicht. Ich erkenne die Panik darin. Ihre Lippen bewegen sich unaufhörlich.
Warum will sie mich hier treffen, so spät am Abend? Was versucht sie, mir zu sagen?
Ich glaube meinen Namen zu verstehen: »Rose.« Und dann wieder Stille.
Mein Ohr schwebt jetzt dicht über ihrem Mund. Ihre Augen fallen zu.
»Muriel, du musst wach bleiben. Bitte schlaf nicht ein. Ich bin es, Rose.«
Wieder halte ich das Display direkt über ihr Gesicht. Sie blinzelt, als das Licht sie trifft, fährt sich mit der Zunge über die Lippen und dann wispert sie etwas.
Ich kann sehen, wie viel Mühe es sie kostet.
Es ist nur ein Wort.
Nein, kein Wort.
Ein Name.
Der Name, den ich am wenigsten hören will.
Ich schließe die Augen und öffne sie erst wieder, als ich das Röcheln aus Muriels Kehle höre.
Ich muss etwas unternehmen. Ich kann sie nicht einfach hier liegen lassen.
»Muriel, hörst du mich?«
Ihre Augen flattern und sie bewegt langsam den Kopf.
»Ich gehe und hole Hilfe. Du musst nur noch ein bisschen durchhalten.«
Plötzlich kann ich jedes ihrer Worte verstehen. Ihre Stimme ist leise und dennoch habe ich noch nie die Laute der Angst so deutlich vernommen.
Schwer atmend flüstert sie: »Lass mich nicht alleine sterben.«
2. David
Es würde noch Stunden dauern, bis der Mond aufging. Und vielleicht – wenn sie Glück hatten – würde sich dieser unglaubliche Sternenhimmel über dem Tal zeigen, wie David ihn hier draußen im Sperrgebiet schon oft erlebt hatte. In diesen Momenten schienen sich Erde und Himmel zu berühren und der Horizont löste sich in Nichts auf.
Aber noch hingen dunkle Wolken tief über dem See und ein kalter Wind schob unaufhörlich Wellen über die Oberfläche, die ans Ufer schlugen.
Jeder von ihnen hatte einen anderen Grund, hier zu sein. Katie, von der er glaubte, dass die reine Neugierde und Abenteuerlust sie trieb. Robert, der nach einer Begründung für alles suchte, was sie bis jetzt im Tal erlebt hatten. Der Duke, der den Spuren seines Urgroßvaters folgte.
Und er selbst …
David glaubte nicht an Geister, wohl aber an so etwas wie eine dunkle Macht. So etwas wie das Böse. Und eines war sicher: Das Böse lauerte hier draußen in diesen Wäldern, den Bergen und nicht zuletzt auch unter der Oberfläche des Lake Mirror.
Er hatte es mit eigenen Augen gesehen und am eigenen Körper erlebt. Hier oben war vieles anders als in der normalen Welt und vielleicht war das ganz gut so. Denn nur, wenn er diese dunkle Macht akzeptierte, hatte er eine Chance, die Hölle in sich selbst zu überwinden.
»Jungs, wir haben kaum noch Holz.« Katie hielt eine Kartoffel in die Glut, die sie auf einen Stock gesteckt hatte. Im roten Lichtschein des Lagerfeuers sah ihr Gesicht völlig verändert aus, fast so, als stamme sie aus einer anderen Zeit, in der es das College hier oben noch nicht gegeben hatte und das Tal vielleicht noch unberührt gewesen war.
Sie stieß Tim in die Seite. »He, Duke, du bist an der Reihe.«
»Ich schlafe«, seufzte Tim. Er lag ausgestreckt zwischen Katie und David auf seinem Schlafsack und starrte in den Himmel.
»Aber das Feuer geht bald aus.«
»Deine Kartoffel ist inzwischen sowieso schon zu Holzkohle geworden. Du hast es noch nie geschafft, dass sie essbar waren.«
»Verflucht, es wird scheißkalt diese Nacht, und wenn ich mir schon den Arsch abfrieren muss, dann will ich das wenigstens nicht hungrig tun.«
»Ich liebe es, wenn du dich klar ausdrückst, Katie West.«
Dieser Dialog ist typisch für die beiden, dachte David. Es war so etwas wie ein Spiel zwischen ihnen, das immer
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