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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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erregende Gefühl, in Jerusalem zu sein. ›Ein unheilbares Leiden‹, so hatte Papst Eugenius mit einem nachsichtigen Lächeln das aufgeregte Herzklopfen, die zitternden Finger und die Euphorie genannt, die mich jedes Mal packen, wenn ich mich durch den Staub ehrwürdiger Bibliotheken wühle, um jahrhundertealte Pergamentcodices und antike Papyrusrollen zu entdecken.
    Je mehr Staub ich aufwirbeln muss, um ein Geheimnis zu erforschen oder um eine spektakuläre Entdeckung zu machen, desto größer der Nervenkitzel. Und der Spaß! Rätselhafte Schriftrollen wie jener Papyrus, den der Erbe der Tempelritter aus der Lade genommen hat, vergessene Dachkammern und zugemauerte Kellergewölbe voller Spinnweben und Staub, verschlossene Türen in Klosterbibliotheken, geheime Gänge und verborgene Treppen in den Gewölben des Vatikans – jedes Mysterium zieht mich magisch an!
    Ein Kreuz, mit Blut gemalt …
    Als ich seufze, wendet Tayeb sich zu mir um. »Was ist?«
    »Ich musste an Leonardo denken. Wie gern hätte er uns begleitet, um die verschollene Tempelbibliothek zu suchen.«
    In der Finsternis tastet Tayeb nach meiner Hand. Er sagt nichts, aber ich weiß auch so, dass er wie ich Trauer und Zorn empfindet. Bevor Seine Heiligkeit vor seiner Rückkehr aus dem florentinischen Exil Leonardo als Leiter des Geheimarchivs nach Rom berief, ist er mein Sekretär gewesen.
    Ich habe ihn an jenem Morgen gefunden und voller Entsetzen das Symbol erkannt, das er mit seinem Blut auf den Boden gemalt hatte. Papst Eugenius, der sofort zu mir in die Gewölbe des Vatikans eilte, als er von der Bluttat erfuhr, hielt das Zeichen zuerst für ein Tau, das Kreuz der Franziskaner, ein Symbol der Erlösung. Leonardo hat dem Orden des heiligen Francesco von Assisi angehört.
    Doch das blutige Symbol war kein Tau.
    Es war ein Templerkreuz.

    »Leonardo wollte mich warnen. Der Assassino ist noch in Rom. Er beobachtet mich, um herauszufinden, was ich über ihn weiß. Und über den aramäischen Papyrus.«
    »Habt Ihr ihn gelesen?«, fragte der Papst, der trotz seiner zweiundsechzig Lebensjahre und seiner schweren Krankheit noch immer eine Ehrfurcht gebietende Gestalt war. Das Zittern seiner Hände verbarg er geschickt, indem er sie fest um sein Brustkreuz faltete und nur noch wenigen Auserwählten die Hand mit dem Fischerring zum Kuss darbot. Eine Schreibfeder konnte er schon nicht mehr halten.
    Der jahrelange Streit mit dem häretischen Konzil von Basel hatte tiefe Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Wegen der Unterzeichnung des Unionsdekrets von Florenz, das 1439 das jahrhundertealte Schisma beendete und die katholische und die orthodoxe Kirche vereinigte, war er vor sechs Jahren vom Konzil von Basel abgesetzt, exkommuniziert und durch einen Gegenpapst ersetzt worden. Gegen den erbitterten Widerstand der orthodoxen Patriarchen, die die Kirchenunion verdammten, herrschte er jedoch unbeirrt weiter als erster Pontifex einer vereinigten griechisch-römischen Kirche.
    »Nein, Heiliger Vater, ich habe die Schriftrolle nicht gelesen. Bei meinen Nachforschungen nach der verschollenen Tempelbibliothek habe ich mich mit den Werken von Flavius Josephus beschäftigt, um den Tempel zu rekonstruieren.«
    Ich zeigte ihm eine der Skizzen mit dem Grundriss des herodianischen Tempels in meinem Notizbuch, das der Assassino übersehen hat, weil es unter dem Tisch lag. Er hielt das Büchlein in das Licht der Kerzen und betrachtete mit einem kurzsichtigen Blinzeln meine Zeichnung.
    Acht große Tore öffneten sich zum Tempelbezirk, dessen Boden mit einem Mosaikpflaster verziert und der von zweischiffigen Säulenhallen umgeben war. Mit dem Finger auf der Skizze spazierte er in seiner Fantasie durch den vor mehr als einem Jahrtausend zerstörten ersten Vorhof, erklomm die fünfzehn Stufen zum Nikanor-Tor, dessen gewaltige Torflügel mit Gold und Silber verziert waren, und betrat den zweiten Vorhof mit dem Brandopferaltar. Zwölf Stufen führten hinauf zum goldglänzenden Tempel mit dem Allerheiligsten, das völlig leer war. Nur ein Stein lag an der Stelle, wo in Salomos Tempel die Bundeslade verehrt worden war.
    Schließlich gab er mir das Notizbuch zurück. »Aber Ihr wisst, was in dieser mysteriösen Schriftrolle steht?«
    Ich bekannte, dass mir mein Vater in ebendiesen Gewölben des Vatikans aus dem aramäischen Papyrus vorgelesen hatte, als ich sieben oder acht Jahre alt war. Und dass ich mich trotz der Länge des Papyrus von fast zwanzig Ellen nur an einen einzigen Vers

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