Der Gottesschrein
erinnern könne, der mich damals fasziniert und zugleich erschreckt hatte. Wie gern wollte ich die Schriftrolle lesen! Denn ich glaube, dass mich jener Furcht erregende Engel, von dem ich als Kind so gebannt war, zum verschollenen Tempelschatz führen kann …
Papst Eugenius faltete die zitternden Hände um sein Brustkreuz. »Was habt Ihr denn nun herausgefunden?«
Monsignor Fantìn, der Kater Seiner Heiligkeit, strich mit erhobenem Schwanz um meine Beine. Die Dominikaner, die dem Papst aufwarteten, hatten dem kupferrot getigerten Kater aus den Gassen Venedigs im Scherz den Titel eines Monsignore verliehen. Als ich ihm über das seidige Fell streichelte, schmiegte er sich maunzend an mich. Dann sprang Seine Eminenz der Kater auf meinen Schoß, drehte sich zweimal um sich selbst, um die gemütlichste Position zu finden, und rollte sich zusammen.
»In den letzten fünf Tagen habe ich den Tatort untersucht. Mit Unterstützung der Inquisitoren habe ich, soweit möglich, den Raub und den Mord rekonstruiert. Und ich habe die Dokumente gelesen, die der Assassino durchwühlt hat, um herauszufinden, wonach er gesucht hat.«
»Haben Euch meine Inquisitoren Schwierigkeiten bereitet?«
»Das war doch zu erwarten.«
»Und weiter?«
»Einer der Dominikaner wollte sich nicht damit abfinden, dass ich, nicht er, die Morduntersuchung leite. Er hielt mir eine Strafpredigt über Anstand und Moral.«
Der Papst schüttelte missbilligend den Kopf.
»Eine Frau, die alleinverantwortlich das Unternehmen in Florenz führt, das sie gemeinsam mit ihrem Vater aufgebaut hat, die großartige Bibliothek und das Scriptorium mit achtzig Kopisten, Kalligrafen und Buchmalern – mehr als in einem bedeutenden Kloster? Die mit ihrem muslimischen Freund Forschungsreisen in den Orient unternimmt, um seltene Handschriften zu entdecken, die sie übersetzt und an Gelehrte in aller Welt verkauft? Die einen Mönch und Priester verführt hat, seinem orthodoxen Glauben abzuschwören? Gott bewahre die Christenheit vor dieser Frau, dieser … wie nannte er mich in seinem ›heiligen Zorn‹? … dieser Priesterhure! Nach einer erbitterten Auseinandersetzung über die ihrem Herrn, dem Mann, unterworfene Frau, über Demut und Gehorsam und die Tugend des geduldigen Schweigens …«
Er schlug mit der Faust auf die Armlehne. »Ich werde dafür sorgen, dass sich der Frater bei Euch entschuldigt.«
»Warum? Er hat doch recht. Ich war die Geliebte eines Mönchs und Priesters, eines Erzbischofs und Metropoliten, eines der höchsten Würdenträger der orthodoxen Kirche. Drei Jahre lang habe ich mit Niketas zusammengelebt, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Denn weder die katholische noch die orthodoxe Kirche hätte uns ihren Segen gegeben. Niketas und ich sind doch das beste Beispiel für den sittlichen Verfall von Florenz und der gesamten Christenheit«, stieß ich hervor. »Wusstet Ihr nicht, dass die Dominikaner allmächtig, allwissend und unfehlbar sind, allen voran die Fratres der Inquisition? Ich muss es wissen, denn mein Vater war Dominikaner.«
Zugegeben, nach allem, was mir die dominikanischen Inquisitoren auf Befehl von Kardinal Giordano Orsini angetan hatten, war ich verbittert. Sie hatten mich, ein dreijähriges Kind, als ›Lucifers Tochter‹ in den Kerker von Santa Maria sopra Minerva gesperrt und meine Mutter Adriana Colonna, die ›Satanshure‹, in der Zelle neben meiner grausam gefoltert. Fra Luca d’Ascoli, der ›Richter Gottes‹, mein eigener Vater, sollte als Inquisitor von Rom über uns richten. Welch eine perfide machtpolitische Intrige von Kardinal Orsini, seinem entschlossensten Gegner in der florentinischen Kurie, der meinen Vater als engsten Vertrauten von Papst Martin und mächtigen Stellvertreter Seiner Heiligkeit stürzen wollte!
»Wo ist dieser anmaßende Frater jetzt?«
»Ich habe ihn nach Santa Maria sopra Minerva zurückgeschickt. Sein Getuschel hinter meinem Rücken über meinen Freund Tayeb und die scheinbar unabsichtlich hingeworfenen Bemerkungen über die Gelehrsamkeit als Ursache für Glaubenszweifel, Häresie und meine Vertrautheit mit einem ›Ungläubigen‹ empfand ich als äußerst hinderlich für die Aufklärung des Mordes.«
»Das kann ich mir vorstellen. Ich werde den Dominikaner für sein Verhalten zur Rechenschaft ziehen. Und der andere?«
»Er besann sich rechtzeitig, wer ich bin.«
»Die Tochter des Inquisitors von Rom. Die Vertraute des Papstes. Und – ein noch höherer Rang! – die beste Freundin des
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