Der größere Teil der Welt - Roman
dahinter eine weitere Frage: Früher waren wir beide Loser, und jetzt bin nur noch ich ein Loser, warum? Und dahinter schwang noch etwas mit: Einmal Loser, immer Loser. Und zuletzt: Du bist ihr hinterhergelaufen. Aber mich hat sie genommen.
»Ich hab mir den Arsch aufgerissen«, sagte Bennie. »Das ist passiert.«
»Dito.«
Wir sahen einander über den schwarzen Schreibtisch hinweg an, das Zentrum von Bennies Macht. Eine lange, seltsame Pause folgte, während der ich das Gefühl hatte, Bennie mit zurückzunehmen – oder vielleicht nahm er mich mit –, zurück nach San Francisco, wo wir zwei von vier Flaming Dildos waren, Bennie einer von den schlechteren Bassisten, die es dort gab, ein Junge mit bräunlicher Haut und behaarten Händen und mein bester Freund. In mir stieg ein Gefühl von so heftigem Zorn hoch, dass mir davon schwindlig wurde. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich über diesen Schreibtisch hinweg Bennie packte und ihm den Kopf abriss, ihn vom Kragen des schönen weißen Hemdes zerrte wie ein knotiges Unkraut mit langen verworrenen Wurzeln. Ich stellte mir vor, wie ich ihn an den buschigen Haaren in den protzigen Vorraum zog und auf Sashas Tresen fallen ließ.
Ich stand von meinem Stuhl auf, aber im selben Moment stand auch Bennie auf – besser gesagt, er sprang auf, denn als ich ihn ansah, stand er bereits.
»Darf ich mal aus deinem Fenster schauen?«, fragte ich.
»Aber sicher doch.« Er hörte sich nicht verängstigt an, aber ich konnte riechen, dass er es war. Essig: der Geruch nach Angst.
Ich ging ans Fenster. Ich gab vor, die Aussicht zu bewundern, hielt aber meine Augen geschlossen.
Nach einer Weile spürte ich, dass Bennie dichter an mich herangetreten war. »Machst du noch Musik, Scotty?«, fragte er leise.
»Ich versuche es«, sagte ich. »Meistens für mich, nur um in Übung zu bleiben.« Ich konnte meine Augen öffnen, ihn aber nicht ansehen.
»Du warst umwerfend auf dieser Gitarre«, sagte er. Dann fragte er: »Bist du verheiratet?«
»Geschieden. Von Alice.«
»Ich weiß«, sagte er. »Ich meine, wieder verheiratet.«
»Es hat vier Jahre gehalten.«
»Es tut mir leid, Kumpel.«
»Ist besser so«, sagte ich. Dann drehte ich mich um, um Bennie anzusehen. Er hatte dem Fenster den Rücken gekehrt, und ich fragte mich, ob er jemals hinausschaute, ob es ihm überhaupt etwas bedeutete, so viel Schönheit um sich herum zu haben. »Was ist mit dir?«, fragte ich.
»Verheiratet. Sohn von drei Monaten.« Er lächelte, ein unsicheres, verlegenes Lächeln beim Gedanken an seinen kleinen Sohn, als wisse er, dass er so viel Glück nicht verdient hatte. Hinter Bennies Lächeln versteckte sich noch immer die Angst: dass ich ihn ausfindig gemacht hatte, um ihm in ein paar entscheidenden Sekunden die Geschenke wegzunehmen, mit denen das Leben ihn überschüttet hatte. Ich hätte am liebsten laut losgelacht: Hey, Kumpel, wann kapierst du es endlich? Es gibt nichts, was du hast, das ich nicht selbst hätte! Es sind alles nur Nullen und Einsen, und man kann sie auf Millionen von Arten kombinieren. Aber zwei Gedanken lenkten mich ab, während ich dort stand und Bennies Angst roch: 1) Ich hatte nicht dasselbe, was Bennie hatte. 2) Er hatte recht.
Stattdessen dachte ich an Alice. Das erlaubte ich mir fast nie – einfach an sie zu denken, statt daran zu denken, nicht an sie zu denken, was ich fast pausenlos tat. Der Gedanke an Alice stieg in mir auf, und ich ließ ihn sich entfalten, bis ich ihre Haare in der Sonne sehen konnte – golden, ihre Haare waren golden – und die Öle riechen, die sie sich auf die Handgelenke tupfte. Patschuli? Moschus? Ich konnte mich nicht an die Namen erinnern. Ich sah ihr Gesicht, ihr Blick war immer noch von Liebe erfüllt, kein Zorn, keine Furcht waren zu sehen – keins der traurigen Dinge, die sie durch mich kennengelernt hatte. Komm rein, sagte ihr Blick, und das tat ich. Einen Augenblick lang ließ ich es zu.
Ich sah hinab auf die Stadt. Ihre Extravaganz kam mir vor wie Verschwendung, als würde man Öl verschütten oder andere kostbare Dinge verbrauchen, die Bennie für sich hortete, nur damit niemand sonst etwas davon bekam. Ich dachte: Wenn ich jeden Tag so eine Aussicht hätte, dann hätte ich Energie und Inspiration genug, um die Welt zu erobern. Das Problem ist nur, das man so einen Anblick genau dann nie bekommt, wenn man ihn am dringendsten braucht.
Ich holte tief Luft und drehte mich zu Bennie um. »Ich wünsche dir Gesundheit und
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