Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
Vom Netzwerk:
»Nachrichten«-Magazine im Fernsehen auch, wenn mein Prozess und meine Haftstrafe beendet sind und ich endlich in die Welt zurückkehren darf, um unter einem öffentlichen Baum zu stehen und seine knorrige Rinde zu berühren –, so dass mir dann, wie Kitty, ein wenig Schutz zukommen möge.
Wer weiß? Vielleicht sehe ich sie ja eines Tages für einen Moment, während wir beide im Central Park spazieren gehen. Ich glaube nicht, dass wir miteinander reden werden. Ich würde beim nächsten Mal lieber aus der Entfernung winken.
Hochachtungsvoll,
Jules Jones

10
    Losgelöst vom Körper
    Deine Freunde bilden sich ein, alles Mögliche zu sein, und deine Bestimmung ist es, sie auf den Boden zurückzuholen. Drew sagt, er wird gleich anfangen, Jura zu studieren. Wenn er eine Weile praktiziert hat, wird er für den Senat seines Staates kandidieren. Danach für den Bundessenat. Zum Schluss als Präsident. Er schildert das alles, so wie du sagen würdest, nach dem Moderne-Chinesische-Malerei-Seminar gehe ich zum Training, dann lerne ich bis zum Mittagessen in der UB , wenn du überhaupt noch Pläne machen würdest, was nicht der Fall ist, und wenn du überhaupt noch an der Uni wärst, was, wenn auch angeblich nur vorübergehend, ebenso wenig der Fall ist.
    Du siehst Drew durch Schwaden von in der Sonne treibendem Haschischrauch an. Er räkelt sich entspannt zurückgelehnt auf dem Futon, den Arm um Sasha gelegt. Er hat ein breites Hallihallogesicht und dunkle Wuschelhaare, und er ist muskulös – nicht mit Fitnessstudiomuckis wie du, sondern grundsätzlich und animalisch, was von seinem vielen Schwimmen kommen muss.
    »Versuch mir ja nicht zu erzählen, dass du keine Lungenzüge machst«, sagst du zu ihm.
    Alles lacht, bis auf Bix, der am Computer hockt, und du findest dich für vielleicht eine halbe Sekunde wahnsinnig komisch, bis dir der Gedanke kommt, dass sie wahrscheinlich nur lachen, weil sie sehen können, dass du versuchst, komisch zu sein, und sie haben Angst, du könntest aus dem Fenster in die East Seventh Street hinunterspringen, wenn du selbst bei so einer Kleinigkeit versagst.
    Drew macht einen langen Zug. Du kannst den Rauch in seiner Brust rasseln hören. Er reicht die Pfeife an Sasha weiter, die sie Lizzie gibt, ohne selbst daran zu ziehen.
    »Ich verspreche dir, Rob«, krächzt Drew zu dir herüber und behält dabei den Rauch im Mund, »wenn irgendwer fragt, dann sage ich ihm, das Dope, das ich mit Robert Freeman junior geraucht habe, war hervorragend.«
    Hat er dieses »junior« spöttisch gemeint? Das Dope wirkt nicht wie geplant, du bist genauso paranoid wie bei Gras. Du beschließt, nein, Drew verarscht keinen. Drew hat eine Mission – im vergangenen Herbst war er einer der Unentwegten, die auf dem Washington Square Flugblätter verteilt und Studierende für die Wahlen registriert haben. Seit er und Sasha zusammen sind, hilfst du ihm manchmal – vor allem bei den Sportfreaks, weil du weißt, wie man mit denen redet. Coach Freeman, alias dein Alter, nennt Typen wie Drew »Waldläufer«. Sie sind Einzelgänger, sagt dein Alter – Skifahrer, Holzfäller –, keine Teamspieler. Aber du weißt alles über Teams, du kannst mit Teamleuten reden (nur Sasha weiß, dass du dir die NYU ausgesucht hast, weil die seit dreißig Jahren kein Footballteam mehr hat). An deinem besten Tag hast du zwölf Teamspieler für die Demokraten registriert, was Drew, als du ihm die Unterlagen gabst, zu dem Ausruf veranlasste: »Mensch, Rob, du hast echt ein Händchen dafür!« Aber du hast dich niemals selbst registrieren lassen, das war es ja gerade, und je länger du gewartet hast, umso mehr hast du dich geschämt. Und dann war es zu spät. Nicht einmal Sasha, die all deine Geheimnisse kennt, hat eine Ahnung davon, dass du niemals deine Stimme für Bill Clinton abgegeben hast.
    Drew beugt sich hinüber und verpasst Sasha einen feuchten Kuss, und du siehst, dass das Dope ihn geil macht, denn dir geht es auch so – deine Zähne tun davon weh, und das wird nur aufhören, wenn du jemandem eine reinhaust oder wenn dir eine reingehauen wird. Auf der Highschool hast du Prügeleien vom Zaun gebrochen, wenn das passiert ist, aber jetzt will niemand mit dir kämpfen – die Tatsache, dass du dir vor drei Monaten mit einem Dosenöffner die Handgelenke aufgeschlitzt hast und fast verblutet wärst, scheint abschreckend zu wirken, wie ein Kraftfeld, das alle lähmt, die sich dir mit einem ermutigenden Lächeln auf den Lippen nähern. Du

Weitere Kostenlose Bücher