Der größere Teil der Welt - Roman
war, und schleifte dabei an den Wänden entlang. »Klingt gefährlich«, sagte Jules.
»Du kannst gern hier unten warten.«
»Versuch nicht ständig, mich loszuwerden.«
Bosco war nicht mehr als der magere röhrende Vertreter des Sounds der späten Achtziger zu erkennen, irgendwo zwischen Punk und Ska, ein Wirbelwind aus rothaarigem Wahnsinn, gegen den selbst Iggy Pop auf der Bühne träge ausgesehen hatte. Mehr als einmal hatten Clubbesitzer während eines Auftritts der Conduits den Notarzt alarmiert, in der Überzeugung, Bosco erleide einen epileptischen Anfall.
Inzwischen hatte er aber stark zugenommen – von den Medikamenten zur Krebsnachsorge und den Antidepressiva, behauptete er, aber in seinem Mülleimer lag fast immer eine leere Familienpackung von Dreyer’s Rocky Road-Eis. Sein rotes Haar hatte sich in einen strähnigen grauen Pferdeschwanz verwandelt. Seit einer misslungenen Hüftoperation konnte er sich nur noch schief den Bauch vor sich herschiebend bewegen, wie ein Kühlschrank auf einem Handkarren. Aber er war immerhin wach und angezogen – sogar rasiert. Die Jalousien seines Lofts waren geöffnet, und ein Hauch von Duschfeuchtigkeit hing in der Luft, angenehm durchsetzt vom Duft frisch aufgebrühten Kaffees.
»Ich hatte dich um drei erwartet«, sagte Bosco.
»Ich dachte, wir hätten zehn gesagt«, sagte Stephanie und kramte in ihrer Handtasche, um seinem Blick auszuweichen. »Hab ich das verwechselt?«
Bosco war nicht dumm, er wusste, dass sie log. Aber er war auch neugierig, und seine Neugier richtete sich natürlich auf Jules. Stephanie stellte sie einander vor.
»Es ist mir eine Ehre«, sagte Jules feierlich.
Bosco suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen für Ironie, ehe er ihm die Hand schüttelte.
Stephanie setzte sich auf einen Klappstuhl neben dem schwarzen Ledersessel, in dem Bosco die meiste Zeit verbrachte. Er stand vor einem staubigen Fenster, durch das der Hudson und sogar ein Stück von Hoboken zu sehen waren. Bosco brachte Stephanie Kaffee und ließ sich mühsam und mit vielen Pausen in seinen Sessel sinken, der sich wie Gelatine um ihn schloss. Sie wollten die PR für A to B besprechen. Jetzt, wo Bennie sich einem Firmenvorstand gegenüber verantworten musste, konnte er außer für die Herstellung und Verschickung der CD keinen Pfennig mehr für Bosco ausgeben. Deshalb nahm Bosco Stephanie stundenweise als seine Pressesprecherin und Tourmanagerin in Anspruch. Das waren vor allem symbolische Dienstleistungen, er war bei den letzten beiden Alben zu krank gewesen, um viel zu unternehmen, und seine Trägheit hatte so mehr oder weniger der Gleichgültigkeit entsprochen, die die Welt ihm entgegenbrachte.
»Ganz andere Geschichte diesmal«, fing Bosco an. »Diesmal musst du arbeiten , Stephi-Babe. Dieses Album wird mein Comeback sein.«
Stephanie nahm an, dass das ein Witz sein sollte. Aber er erwiderte aus den Falten des schwarzen Leders heraus gelassen ihren Blick.
»Comeback?«, fragte sie.
Jules war durch das Loft gewandert und hatte die goldenen und Platin-Schallplatten der Conduits bewundert, mit denen die Wände gepflastert waren, die wenigen Gitarren, die Bosco nicht verkauft hatte, und seine Sammlung von Kunstwerken aus der Zeit vor Kolumbus, die er in sauberen Glasvitrinen hortete und sich weigerte zu verkaufen. Bei dem Wort »Comeback« merkte Stephanie, wie ihr Bruder aufhorchte.
»Das Album heißt A to B, klar?«, sagte Bosco. »Und das ist genau die Frage, die ich stellen möchte: Wie bin ich vom Rockstar zu einem fetten Wichser geworden, der allen scheißegal ist? Tun wir doch nicht so, als wäre das nicht passiert.«
Stephanie war zu verwirrt, um zu antworten.
»Ich will Interviews, Artikel, was auch immer«, sagte Bosco jetzt. »Will mein Leben mit diesem Scheiß füllen. Lass uns jede verdammte Demütigung dokumentieren. So ist das Leben nun mal. Man sieht zwanzig Jahre später nicht mehr gut aus, vor allem nicht, wenn einem die Hälfte der Eingeweide entfernt worden ist. Die Zeit macht einen fertig, richtig? Sagt man nicht so?«
Jules war von der anderen Seite des Zimmers herübergekommen. »Das hab ich noch nie gehört«, sagte er. »Die Zeit macht einen fertig?«
»Stimmst du mir etwa nicht zu?«, fragte Bosco ein wenig herausfordernd.
Jules schwieg einen Moment. »Nein«, sagte er dann.
»Hör mal«, sagte Stephanie. »Ich mag deine Ehrlichkeit ja, Bosco …«
»Komm mir ja nicht mit ›ich mag deine Ehrlichkeit, Bosco‹«, sagte er. »Werd mir
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