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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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oder ein wächserner Engel und dergleichen mehr. Im tiefsten Hintergrunde aber saß jederzeit eine bejahrte, dicke Frau in altertümlicher Tracht in einem trüben Helldunkel, während ein noch älteres, spitziges, eisgraues Männchen mit Hilfe einiger Untergebenen in der Halle herumhantierte und eine zahlreiche Menge Leute abfertigte, welche fortwährend ab und zu ging. Die Seele des Geschäftes war aber die Frau, und von ihr aus gingen alle Befehle und Anordnungen, ungeachtet sie sich nie von ihrem Platze bewegte und man sie noch weniger je auf einer Straße gesehen hatte. Sie trug immer bloße Arme und hatte schneeweiße Hemdsärmel, auf eine künstliche Weise gefältelt, wie man es sonst nirgends mehr sah und es vielleicht vor hundert Jahren schon so getragen wurde. Es war die originellste Frau von der Welt, welche schon vor dreißig Jahren mit ihrem Manne blutarm und unwissend in die Stadt gezogen, um da ihr Brot zu suchen. Nachdem sie mit Tagelohn und saurer Arbeit eine Reihe von mühseligen Jahren durchgekämpft hatte, gelang es ihr, einen kleinen Trödelkram zu errichten, und erwarb sich mit der Zeit durch Glück und Gewandtheit in ihren Unternehmungen einen behaglichen Wohlstand, welchen sie auf die eigentümlichste Weise beherrschte. Sie konnte nur gebrochen Gedrucktes lesen, hingegen weder schreiben noch in arabischen Zahlen rechnen, welche letzteren es ihr nie zu kennen gelang; sondern ihre ganze Rechnenkunst bestand in einer römischen Eins, einer Fünf, einer Zehn und einer Hundert. Wie sie diese vier Ziffern in ihrer frühen Jugend, in einer entlegenen und vergessenen Landesgegend, überkommen hatte, überliefert durch einen jahrtausendalten Gebrauch, so handhabte sie dieselben mit einer merkwürdigen Gewandtheit. Sie führte kein Buch und besaß nichts Geschriebenes, war aber jeden Augenblick imstande, ihren ganzen Verkehr, der sich oft auf mehrere Tausende in lauter kleinen Posten belief, zu übersehen, indem sie mit großer Schnelligkeit das Tischblatt mittelst einer Kreide, deren sie immer einige Endchen in der Tasche führte, mit mächtigen Säulen jener vier Ziffern bedeckte. Hatte sie aus ihrem Gedächtnisse alle Summen solchergestalt aufgesetzt, so erreichte sie ihren Zweck einfach dadurch, daß sie mit dem nassen Finger eine Reihe um die andere ebenso flink wieder auslöschte, als sie dieselben aufgesetzt hatte, und dabei zählend die Resultate zur Seite aufzeichnete. So entstanden neue kleinere Zahlengruppen, deren Bedeutung und Benennung niemand kannte als sie, da es immer nur die gleichen vier nackten Ziffern waren und für andere aussahen wie eine altheidnische Zauberschrift. Dazu kam noch, daß es ihr nie gelingen wollte, mit Bleistift oder Feder oder auch nur mit einem Griffel auf einer Schiefertafel das gleiche Verfahren vorzunehmen, indem sie nicht nur räumlich einer ganzen Tischplatte bedurfte, sondern auch nur mittelst der weichen Kreide ihre markigen Zeichen zu bilden imstande war. Sie beklagte oft, daß sie sich gar nichts Fixiertes aufbewahren könne, war aber gerade dadurch zu ihrem außerordentlichen Gedächtnisse gelangt, aus welchem jene wimmelnden Zahlenmassen plötzlich gestalt-und lebenvoll erschienen, um ebenso rasch wieder zu verschwinden. Das Verhältnis zwischen Einnahme und Ausgabe machte ihr nicht viel zu schaffen; sie bestritt alle häuslichen Bedürfnisse und sonstige Ausgaben vorweg aus dem gleichen Seckel, welcher auch den Geschäftsverkehr begründete, und wenn eine überflüssige Summe Geldes beieinander war, so wechselte sie dieses sogleich in Gold um und verwahrte dasselbe in ihrer Schatztruhe, wo es für immer liegenblieb, wenn nicht ein Teil davon für eine besondere Unternehmung oder für ein ausnahmsweises Darlehen herausgenommen wurde, da sie sonst auf Zinsen kein Geld auslieh.
    Sie hatte besonders mit Landleuten von allen Seiten her Verkehr, welche sich ihre gerätschaftlichen Bedürfnisse bei ihr holten, und gab ihre Waren jedermann auf Borg, gewann oft viel dabei und verlor auch oft. So kam es, daß eine Menge von Leuten von ihr abhängig waren oder in einem verbindlichen oder feindlichen Verhältnisse zu ihr standen und daß sie beständig von Nachsichtsuchenden oder Bezahlenden umlagert war, welche ihr, zur Beherzigung oder als Dank, die mannigfaltigsten Gaben darbrachten, nicht anders als einem alten Landpfleger oder einer reichen Äbtissin. Feld-und Baumfrüchte jeder Art, Milch, Honig, Trauben, Schinken und Würste wurden ihr in gewichtigen

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