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Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Der Herr der Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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den Knauf zu drehen. Despirrow betrachtete flüchtig den Heiler und den Kelch, den er trug. Der Kelch sah nicht verdächtig aus, sondern tatsächlich ziemlich einladend.
    Bei der Großen Magie, er würde bald mit Lilienwasser auf Brastons Andenken anstoßen und lachen.
    Plötzlich kam ihm das Schlüsselloch der Tür wie ein Auge vor, und Despirrow befiel die schreckliche Angst, Braston könne sich, da er nichts Besseres zu tun hatte, angewöhnt haben, durch dieses Schlüsselloch zu spähen. Er zog sich hastig um eine Ecke in ein Treppenhaus zurück, aber nach einigen Momenten entspannte er sich. Kein Laut, der andeutete, dass Despirrow sich verraten haben könnte, kam aus Brastons Zimmer. Nur sein ängstlicher Geist machte ihn nervös. Er sackte auf einer Stufe in sich zusammen.
    Nun, hier war er. Er brauchte die Zeit nur wieder in Gang zu setzen.
    So angespannt sein Griff, mit dem er die Zeit festhielt, auch geworden war, jetzt, da es so weit war loszulassen, fiel es ihm schwer. Als habe er eine Hand zu lange in der gleichen Position gehalten, und jetzt reagierte sie nicht mehr. Er konzentrierte sich mit aller Macht, holte tief Luft und ließ nachdrücklich los.
    Außer Sichtweite unten im Flur hörte er die Tür, die geöffnet wurde, gefolgt von Brastons überraschtem Ausruf.
    »Mein König«, erklang die Stimme des Heilers. »Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht erschrecken.«
    Der Heiler hustete ein wenig – zweifellos roch es in Brastons Gemach nicht besonders gut.
    »Das hast du nicht!«, kam Brastons Antwort. »Es ist nur …«
    Versuch nicht, es ihm zu erklären, dachte Despirrow.
    »Vergiss es. Es soll genügen zu sagen, dass ich froh bin, dich zu sehen! In der Tat, irgendjemanden zu sehen.«
    »Mein König sieht viel besser aus, als ich erwartet habe«, entgegnete der Heiler.
    Nicht zu viel besser, hoffe ich.
    »Schließ diese Tür nicht!«, blaffte Braston.
    Despirrow konnte sich gut vorstellen, dass er keine Lust hatte, noch länger in dem Raum gefangen zu sein.
    Komm schon, gib ihm den verdammten Trunk.
    Für Braston war die frische Luft, die durch die offene Tür in seinen Raum strömte, eine noch größere Erleichterung, als er es sich vorgestellt hatte.
    Die Heilung war aufgrund der erzwungenen Entbehrungen langsam vonstatten gegangen. Nichtsdestoweniger hatte er das Gefühl, als habe er einen gewissen Punkt überschritten, als liege das Schlimmste hinter ihm, und er könne endlich aufstehen. Sein Körper schmerzte noch immer, aber er erhob sich entschlossen aus dem Gewirr stinkender Laken. Sein Blick fand den Kelch, den der Heiler trug, und hätte er irgendwelchen Speichel übrig gehabt, wäre ihm das Wasser im Mund zusammengelaufen. Durst war das quälendste seiner Bedürfnisse gewesen, und er hatte von Seen und Flüssen geträumt, während er dagelegen hatte, den Mund so trocken wie Papier.
    »Ich habe dir etwas Lilienwasser gebracht, Herr«, sagte der Heiler und reichte ihm den Kelch.
    Seltsames Licht spielte in den Raum. Braston drehte sich zum Fenster um, das ihm so lange verschlossen geblieben war, und riss es auf. Am Himmel kräuselten sich lange Risse, durch die Tageslicht pulsierte und die Nacht zu besiegen versuchte. In der Zwischenzeit hörte er fernes Keuchen, sah, wie die Menschen auf dem Burghof nach oben deuteten und das Schauspiel mit Entsetzen verfolgten.
    »Despirrow«, murmelte er. »Was hast du angerichtet?«
    Er drehte sich wieder zu dem Heiler um. Sein Instinkt war es zu fragen, was geschehen war, während er eingeschlossen gewesen war, aber natürlich konnte der Mann das nicht beantworten.
    Er musste Yalenna finden.
    Der Heiler starrte voller Erstaunen an ihm vorbei aus dem Fenster, genau wie die Wachen an der Tür.
    »Herr«, sagte der Heiler, »was geschieht dort draußen?«
    Er hatte etwas an sich, begriff Braston – etwas im Netzwerk der Fäden, die um ihn herumwehten, schien wichtig zu sein, schien mit Gerechtigkeit zu tun zu haben.
    »Du wirst etwas tun, nicht wahr?«, fragte Braston.
    Der Mann erbleichte. »Entschuldigung, mein König?«
    »Du hast etwas geplant, nicht wahr? Von großer Bedeutung.«
    Der Mann schien in sich zusammenzuschrumpfen. »Ich … ich bin mir nicht sicher, was du meinst, Herr.«
    Braston runzelte die Stirn. »Vielleicht weißt du es noch nicht einmal, aber die Große Magie mag dich.« Der Anblick des Kelches erinnerte ihn an seinen Durst. »Jetzt gib mir das – meine Zunge ist trocken wie Zunder.«
    Er nahm das Lilienwasser aus den

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