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Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Der Herr der Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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machte einen Bogen um die Stelle, wo er dem streitbaren Huscher begegnet war. Zwei andere knabberten bereits an dessen Leiche und arbeiteten sich von den Beinen nach innen vor.
    Als er ins Freie und ins grelle Licht trat, blinzelte er. Von den niedrigen Hügeln hatte man einen guten Blick auf den Strand, dessen weißer Sand in der Sonne gleißte; die heiße Luft ließ die tosenden Wellen dahinter flirren. Auf der nächsten Erhebung stand Tarzi, die Hände in den Hüften, und hob sich als Silhouette vor dem Licht ab. Ihre rötlichen Locken leuchteten wie durchsichtiger Bernstein. Sie starrte in die Sonne, als wolle sie den Feuerball vertreiben. Dann trat sie in den Schatten eines Baums mit grauer Rinde, unter dem ihr Gepäck lag, kniete sich hin und suchte etwas. Als Rostigan sie erreichte, holte sie gerade die Vorräte heraus. Sie erweckte den Eindruck, als wäre ihr heiß und als würde sie sich Sorgen machen. Ihre Haut war schweißbedeckt, vor allem an den Schläfen und zwischen den Brüsten. An anderen Stellen klebte ihr die Bluse an der Haut.
    Wie schön sie ist, meine Tarzi, und kein bisschen schüchtern dabei.
    Sie sah ihn an, und ihre großen dunklen Augen wirkten verlegen. »Starr mich nicht so an.«
    »Wie denn?«
    »Als würde es dir Spaß machen, dass ich verzweifelt bin.«
    »Bist du verzweifelt?« Rostigan lachte überrascht.
    »Und überhaupt«, fügte sie hinzu, »selbst wenn sie dich angegriffen hätten, wer will schon ein Lied über einen Kerl hören, der im Dunkeln gegen Käfer kämpft.«
    Rostigan schüttelte sacht den Kopf. Er fragte sich, ob sie je einsehen würde, dass er nicht der Mann fürs große Abenteuer war. Seine Taten auf den Feldern von Ilduin hatte er vollbracht, weil es die Not geboten hatte, nicht irgendein Ehrgeiz. Für Tarzi würde er jedoch ewig der große Held Schädelspalter bleiben, ein Name, den man ihm nach diesem großen Kampf verliehen hatte. Und obwohl er sich seitdem nach nichts mehr sehnte als nach einem ruhigen Leben, gab es ständig jemanden, der Hilfe brauchte. Erst kürzlich waren sie durch einen Ort gekommen, aus dem sich ein Reuewurm ständig seine Mahlzeiten holte. Rostigan hatte sich als Einziger in den stinkenden Bau aus vermodernden Bäumen im nahen Wald gewagt. Solche Wesen gab es seit den Zeiten des Herrn der Tränen, aber es schien Rostigan, als habe ihre Zahl in letzter Zeit zugenommen. Vielleicht ein weiteres Zeichen für das, was kam – und das er nicht hatte kommen sehen.
    »Warum du dich entschieden hast, einem alten Denkmal wie mir zu folgen, werde ich nie verstehen«, sagte er.
    »Du bist nicht alt. Oder wenn, nur ein wenig – alt genug, um Würde zu verkörpern.«
    Angesichts der Flecken auf seiner Hose und des Drecks aus der Höhle, der ihm an den Armen klebte, konnte von Würde wohl kaum die Rede sein. Allerdings hatte man ihm im Laufe der Jahre häufig gesagt, dass er gut aussah, und am Ende glaubte er es sogar, auch wenn ihn aus dem Spiegel immer ein steinhartes, kantiges Gesicht anblickte.
    Er zog das Schwert, das er auf dem Rücken trug, und rieb im Gras das Huscherblut ab.
    »Sieh dir diese traurige Versammlung an«, sagte Tarzi verächtlich und deutete auf die Vorräte, die sie ausgepackt hatte. Sie bestanden aus einem Stück Brot, getrocknetem Krebsfleisch, einem halben Fläschchen süßen Saft, einigen Zweigen Minze und einem Kaninchen, das sie morgens gefangen hatte. Sie waren schon seit vielen Tagen fernab jeder Siedlung unterwegs, und das hatte sich auf ihre Vorräte ausgewirkt.
    »Silberstein ist nicht mehr weit«, gab Rostigan zurück, und ihre Augen leuchteten auf.
    Er wusste, dass der Marsch durch die Wildnis sie langweilte. Aber sie war aus freien Stücken mit ihm gekommen und konnte gehen, wann immer sie wollte. Das hatten sie so vereinbart, obwohl sich die Umstände inzwischen verändert hatten. Fast von Anfang an hatten sie das Bett geteilt, wo auch immer sie sich zur Ruhe legten, und natürlich brachte das einiges durcheinander. An manchen Tagen wäre er lieber allein gewesen und fragte sich, warum er sich auf die Gesellschaft einer Bardin eingelassen hatte, selbst wenn es sich um eine so verführerische Bardin wie Tarzi handelte. An anderen hingegen verspürte er den unerklärlichen Wunsch, sie glücklich zu machen, und dafür nahm er sogar Ausflüge in die Zivilisation in Kauf.
    »Hast du in der Höhle etwas gefunden?«
    »Aber gewiss …«, antwortete er und griff nach seiner Tasche. Vorsichtig holte er den Lockenzahn

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