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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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Deshalb hatte er seine eigenen Regeln gebrochen und sich einen kleinen Ausrutscher gestattet. Es war überraschend, wie schnell alles wieder da gewesen war, nachdem er es erst einmal wollte. Eigentlich hatte er sich vorgestellt, seine Fähigkeiten lägen in einer staubigen Truhe in den Tiefen seines Wesens versteckt. Doch im Thronsaal von Althala inmitten von Herren und Damen, Soldaten und sogar ahnungslosen Fadenwirkern hatte er still seine Fäden in die Worte gewoben, die er sprach, damit sie von den anderen als Wahrheit erkannt wurden. Er hatte sie nicht übermäßig beeinflusst, redete er sich ein, er hatte nur ein paar kleine Verstärkungen vorgenommen, damit Loppolo sich der Lage bewusst wurde … und Rostigan sein Vertrauen schenkte.
    »Es dürften kaum mehr als ein paar Hundert sein«, sagte Loppolo. Dennoch klang er nicht so, als würde das die Angelegenheit erleichtern. Rostigan hatte ihn auf der Reise hierher beraten und ihm klargemacht, wie schwierig die Entflochtenen zu töten waren. Ihre Kraft war größer, als ihre knochigen Leiber erwarten ließen, und man konnte sie nur besiegen, wenn man ihr Gehirn oder Herz traf.
    »Die Flachländer kommen«, verkündete Tursa, einer von Loppolos Beratern. Und tatsächlich gesellten sich einige Hundert Reiter in Lederharnisch zu ihnen. Eine kleinere Abteilung löste sich daraus. Sie wurde von einem großen Mann mit Gabelbart angeführt.
    »Ho, Althala«, grüßte er. »Heil dir, König Loppolo. Ich danke dir, dass du uns zu Hilfe kommst.«
    »Dein Volk steht nicht allein, König Hunna«, erwiderte Loppolo, »gegen eine so finstere Bedrohung.«
    Hunna nickte. »In kleinerer Zahl haben wir sie schon oft bekämpft, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen. Irgendetwas treibt sie über den Pass, aber welch düsterer Ruf es ist, weiß ich leider nicht.«
    »Sieh!«, sagte Tursa. Auf den Feldern ritt eine einzelne Gestalt vom Lager der Entflochtenen auf sie zu. Sie trug eine Flagge und schwenkte sie über dem Kopf. Als die Gestalt die Mitte zwischen den Heeren erreichte, blieb sie stehen und stieß die Flagge in den Boden. Dann zog sie das Schwert und warf es zur Seite.
    »Bei der Großen Magie«, entfuhr es König Hunna. »Ich habe noch nie gesehen, dass die Entflochtenen das Gespräch suchen.«
    Rostigan runzelte die Stirn. Er hatte das auch nicht.
    »Ich gehe«, sagte er.
    »Die Könige sollten gehen«, sagte Hunna. Er musterte Rostigan von oben bis unten, fand jedoch keine Rangabzeichen an ihm. »Wer ist dieser Mann?«
    »Ich bin Rostigan, Herr. Und die Könige sollten nicht gehen, falls es eine Falle ist. Ihr kennt die Entflochtenen doch.«
    »Er hat recht«, stimmte Loppolo rasch zu. »Rostigan sollte gehen.«
    »Ich werde ihn begleiten«, sagte Tursa und warf Rostigan einen misstrauischen Blick zu. Der Berater misstraute Rostigan, seit dieser wie aus dem Nichts in Althala aufgetaucht war und sofort beim König Gehör gefunden hatte.
    »Ich kann für deine Sicherheit nicht garantieren«, erwiderte Rostigan. Tursa, ein rundlicher Mann ohne Kampferfahrung, bedauerte seinen Vorschlag nun sichtlich, wollte allerdings nicht als Feigling dastehen.
    »Natürlich würde ich versuchen, dich zu beschützen«, fügte Rostigan leise hinzu, »wenn es notwendig wird.«
    Tursa öffnete den Mund, sagte jedoch nichts und nickte kurz.
    »Wir werden auch einen Vertreter entsenden«, sagte Hunna. Auf einen Wink hin kam ein jüngerer Mann zu ihm. »Das ist Hauptmann …«
    »Nein«, sagte Rostigan. »Ich bitte um Verzeihung, König Hunna, aber die Entflochtenen und die Flachländer sind alte Feinde. Es ist besser, eine neutrale Gesandtschaft zu schicken, um nicht alles noch komplizierter zu machen.«
    »Und ich bitte dich um Verzeihung«, sagte Hunna, »aber ich lasse mir nicht in meinem eigenen Land Befehle von einem Mann geben, den ich nicht kenne!« Er sah Rostigan unnachgiebig an. »Dennoch entbehren deine Worte nicht der Weisheit. Zwischen uns und ihnen ist die Lage in letzter Zeit sehr angespannt. Außerdem bezweifele ich, dass dieses Wesen« – er deutete auf die wartende Gestalt – »wirklich etwas zu sagen hat.«
    »Wir werden es erfahren«, erwiderte Rostigan.
    Das gelbe Gras knisterte unter den Hufen, als Rostigan mit Tursa dem Entflochtenen entgegenritt. Dieser saß auf einem silbergrauen Pferd. Seine Haut war blässlich grau, unglaublich glatt und straff und spannte sich über Muskeln und Adern. Das Hemd hing an der Gestalt wie ein Lumpen, Hose und Stiefel hingegen

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