Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
Bei uns zu Hause
Meine Eltern sind völlig unmodern.
Mein Vater hat nie von einem Auto auch nur geträumt und meine Mutter nie von einem teuren Pelzmantel. Die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat auch keinerlei unerfüllbare Wünsche in ihnen erweckt. Sie haben nie daran gedacht, einmal eine Reise mit dem Flugzeug zu machen oder einen Fernsehapparat oder eine Küchenmaschine zu besitzen. Wenn sie wirklich einmal verreisten, ist es ihnen in ihrer kühnsten Phantasie nicht eingefallen, erster Klasse zu fahren.
Nach meiner Meinung könnten meine Eltern das beste Beispiel für die Redensart abgeben: „Sich mit dem begnügen, was man erhalten, und sonst den Herrgott lassen walten.“
Und sie können den lieben Gott wirklich walten lassen, denn sie haben ihm viel zu verdanken.
Ich will wahrlich nicht behaupten, daß der Haushalt so war, wie wenn Mutti ihn machte. Aber ich hatte doch eine gewisse Übung, und es ging einigermaßen.
Mein Vater, der ein ausgesprochenes Organisationstalent besaß, ergriff gleich nach Muttis Abreise beim Abendessen das Wort: „So, Kinder, nun müssen wir für die Zeit, wo Mutti weg ist, einen Plan machen. Beate ist die Hausfrau, und ihr habt ihr zu gehorchen - du brauchst gar nicht zu grinsen, Olav; wenn ich gehorchen sage, dann meine ich gehorchen! Ihr müßt alle mithelfen, jeder auf seine Weise. Wenn ihr die Arbeit untereinander richtig verteilt, wird es für den einzelnen nicht zuviel. Und dann wollen wir es durchführen, daß Beate jeden zweiten Sonntag ganz frei ist und jeden Abend nach zwanzig Uhr. Ihr könnt heilfroh sein, daß ihr eine erwachsene Schwester habt, die den ganzen Haushalt übernimmt. Ihr müßt nun alle miteinander das Eure dazu beitragen, daß Beate nicht hinterher auch noch zur Erholung weg muß. Wir müssen jetzt zusammenhalten und uns gegenseitig beistehen - einverstanden?“
Natürlich waren sie einverstanden. Alle die sommersprossigen Jungensgesichter und die rotwangigen Mädchengesichter waren Vati und mir zugewandt, offen und verständnisvoll, und sieben Köpfe nickten.
In solchen Augenblicken liebe ich meine Familie. In der Zeit, die nun kam, geriet diese Liebe hin und wieder ein bißchen ins Wanken. Es waren keineswegs nur Zärtlichkeiten, die quer über das schmutzige Geschirr in der Küche hinwegflogen, und es waren nicht nur Liebkosungen, die ich unter den Geschwistern austeilte. Aber im großen und ganzen ging es doch recht gut.
Von Mutti kam Post. Sie erzählte, sie schlafe wie ein Stein und esse gut und mache lange, gesundheitsfördernde Spaziergänge, und sie nehme jede Woche zu und fühle sich wie ein neuer Mensch...
Bis dahin also war mein Leben geregelt und ereignislos verlaufen. Ich hatte mit fünf ehemaligen Schulfreundinnen ein Handarbeitskränzchen, ich ging wohl auch manchmal in eins der beiden Kinos von Tjeldsund, und ab und zu lud eine Freundin mich zum Geburtstag ein, zu Torte und Kaffee und selbstgebrautem Likör.
Ich war nie aus Tjeldsund herausgekommen - abgesehen natürlich von Ferienreisen.
Und außer ein paar kleinen Schwärmereien in der Schulzeit hatte auch die Liebe noch nicht in meinem Dasein Einzug gehalten.
Aber eines Tages tat sie es. Es war bei meiner Kränzchenfreundin Giske. Und es geschah in dem Augenblick, als ihr Bruder ins Zimmer trat. Axel war mir noch erinnerlich als ein lang aufgeschossener, magerer Bengel aus der Mittelschule. Später entschwand er meinem Gesichtskreis. Und eines Tages erzählte Giske, Axel habe sein Examen an der Höheren Handelsschule in Oslo gemacht und sei nach USA gegangen.
Plötzlich war er wieder zu Hause und stand dort in der Tür, groß und schlank und braungebrannt und hübsch, so hübsch, daß mein Herz koppheister schoß und ich nach Luft ringen mußte.
Es fügte sich, daß Axel mich nach Hause brachte. Und es fügte sich, daß er mich unter den Arkaden in der Storgate küßte, gerade vor dem Geschäft von P. Hansen & Sohn, Fettwaren.
In der folgenden Zeit äußerten sich meine Brüder höchst mißtrauisch und Vati höchst anerkennend darüber, daß ich allabendlich einen Spaziergang machte. Vati nahm an, ich tue es um der Gesundheit willen, Jan und Nico hatten andere Vermutungen, die der Wahrheit erheblich näherkamen.
In Tjeldsund und Umgegend war Frühling; Axel hatte ein Motorrad, und zum Wald mit dem Liebespfad und weißen Anemonen und Sonnenuntergang und Bänken mit eingeschnittenen Herzen und Anfangsbuchstaben war es nicht weit. Für mich hatte das
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