Der Herr der Unruhe
»Du kennst den Mann?«
Laura lachte sich die Erleichterung von der Seele und erklärte schließlich, während sie auf Nico deutete: »Ob ich ihn kenne?
Aber Papà, das ist der Held des Tages.«
»Du meinst … der Walzenbändiger?«
Sie nickte. »Derselbe, der neulich am Bahnhof deinen störrischen Lancia wieder auf Trab gebracht hat. Erinnerst du dich?«
Lächelnd streckte sie Nico die Hand entgegen. »Sie sind hier, weil Papà Sie eingeladen hat, nicht wahr, Herr Michel?«
»Ich …« Ihm versagte die Stimme. Was sollte er darauf antworten? Nein, ich bin gekommen, um ihn zu töten? In Donna Lauras Gegenwart erschien ihm allein der Gedanke an eine solche Tat wie das schlimmste aller Verbrechen. Niemand sollte mit ansehen müssen, wie der eigene Vater umgebracht wurde. Schon gar nicht sie, dieses bezaubernde Mädchen, das selbst klatschnass noch so liebreizend, so schön, so anmutig, so …
»Herr Michel? Ist Ihnen nicht gut?«
Er schüttelte den Kopf, als müsse er einen bösen Traum los-werden. Nein, ihm war ganz und gar nicht wohl bei der Vorstellung, Laura zu verletzen. Entgegen allen guten Ratschlägen seines besten Freundes sehnte er sich danach, sie für sich gewinnen.
Augenscheinlich liebte sie ihren Vater, wohl in Unkenntnis seiner dunklen Vergangenheit; ihn zu töten hieße, sie sich zur Feindin zu machen. Nico wollte alles andere, nur nicht das. Er räusperte sich.
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»Entschuldigen Sie, Donna Laura. Ich muss das alles erst ver-arbeiten: die späte Einladung Ihres Herrn Vaters in den Palazzo Comunale, dann das Feuer und jetzt …« Er starrte sie mit offenem Mund an.
»Und jetzt?«, echote sie amüsiert.
Und jetzt das Mädchen, von dem ich seit zwei Wochen träume, dachte er, aber ehe ihm eine unverfänglichere Antwort einfiel, rettete sie ihn aus der Notlage.
»Das war sehr mutig heute, Herr Michel.«
Die Regentropfen schienen sich auf Nicos Haut in heißes
Wachs zu verwandeln. Ihm wurde ganz schwindelig. Und wie sie ihn ansah! Er öffnete den Mund, wusste aber nicht, was er sagen sollte, ohne sich zu einem kompletten Idioten zu machen. Bevor er an dieser Situation etwas ändern konnte, riss abermals Manzini das Gespräch an sich.
»Setz dich doch bitte in den Wagen, Liebes, damit du dir nicht den Tod holst. Ich komme gleich nach.«
»Aber es nieselt ja nur noch und …«
»Ich werde Signor Michel zum Abendessen einladen. Dann
kannst du mit deinen Deutschkenntnissen vor ihm glänzen. Aber jetzt ab in den Wagen!«
Nico erwiderte Donna Lauras Verabschiedung mit einem
verlegenen Nicken. Alles war so verwirrend. Ihr zauberhaftes Lächeln – sie schien ihn zu mögen. Das hätte er sich nie zu erhof-fen gewagt. Als wäre sie ein Engel, der sogar den Naturgewalten Einhalt gebot, schloss der Himmel seine Schleusen just in dem Moment, als sie die Tür des Lancia zuzog.
Die Fürsorge des Vaters war für Nico fast noch irritierender als das bestrickende Wesen der Tochter. In seinem Kopf existierte ein ganz anderes Bild von Don Massimiliano, nämlich das eines gewissenlosen Schlächters, die Vorstellung von einem Leviathan, einem sich windenden Ungeheuer, für das man mehr als nur eine einzige Lanze aufsparen sollte.
Manzini richtete wieder das Wort an den Walzenbändiger. »Sie sind ein bemerkenswerter junger Mann, Signor Michel. Ich hatte 92
Sie heute Abend in mein Büro eingeladen, um Donna Genovefas Nerven zu schonen.«
»Ich hatte auch nicht vor, Ihre Zeit mehr als nötig zu beanspruchen, Don Massimiliano«, erwiderte Nico. In seiner Stimme lag etwas Lauerndes, das Manzini auf seine ganz eigene Weise deutete. Er lachte und legte dem Held des Tages den Arm um die Schulter; Nico kostete es alle Beherrschung, die er aufbringen konnte, sich dem Vorsteher nicht zu entwinden.
»Es geht nicht darum, dass meine Gemahlin mit einer Abend-gesellschaft überfordert wäre, mein junger Freund«, erklärte Manzini vertraulich, »sondern um ihre Reizbarkeit, wenn das Gespräch auf eines meiner bambini kommt.«
»Bitte entschuldigen Sie, Don Massimiliano, aber mir ist nicht ganz klar …«
Wieder lachte der Podestà, aber diesmal war es eine unter-drückte Heiterkeit, die sich in den Fettschichten seines massigen Körpers als heftiges Schütteln bemerkbar machte. »Ich dachte, man hätte es Ihnen längst zugeflüstert, Signor Michel. Sie haben heute meine Tochter gerettet, und dafür möchte ich Ihnen Dank sagen.«
Nico stutzte. Sein Blick wanderte zu der schwarzen Limousine, hinter deren
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