Verzeih mir, mein Herz!
1. Kapitel
London, St. James Street, Spätsommer 1815
Susan Carmichaels Augen blitzten, als sie ihrer vier Jahre älteren Cousine einredete, dass sie unbedingt als Göttin Aphrodite auf den Maskenball im Charlton House gehen müsste. Verächtlich kräuselte sie die Lippen, als diese wortreich ablehnte.
Die renommierte Modistin hielt Elizabeth, die nicht mehr am Leib hatte als ihre Unterwäsche, das von Miss Carmichael ausgewählte Kostüm an den Körper und versuchte sie vom Gegenteil zu überzeugen.
„Madame, es ist eine wunderschöne Kreation, aber ich denke, ich bin mit einem etwas schlichteren Kostüm besser beraten, schließlich bin ich noch unverheiratet und habe einen Ruf zu bewahren.”
Susan lachte und gab der Modistin ein Zeichen. „Du bist doch verlobt, Betty, da kannst du doch ruhig etwas Gewagteres tragen. Und der rosa Tüll hebt deinen strahlenden Teint besonders schön noch extra hervor. Wenn du mich fragst, dann kannst du gar nichts anderes tragen!”, schmeichelte Susan ihr und fuhr liebkosend über den leichten Stoff des fraglichen Kostüms. Elizabeth runzelte leicht die Stirn. Ihre Cousine hatte gar nicht so unrecht, denn der helle Roséton stand ihr tatsächlich ausgezeichnet, aber es war ausgeschlossen, dass Elizabeth dieses Kleid kaufte. Die Kreation aus luftigen Lagen Tüll war viel zu freizügig für ein Mädchen ihres Alters und ihrer Lebensumstände. Selbst für eine verheiratete Frau oder eine Witwe war es anrüchig! Der griechische Stil der Robe schlug sich in einem tiefen V-Ausschnitt nieder und in dem lockeren Fall des Stoffes. Zwar schloss die Toga am Boden ab, aber der leichte Taft würde sich bei jedem Schritt gegen ihre Beine drücken und dabei unschicklich ihre Kontur nachzeichnen. Elizabeth seufzte leise und bat die Modistin nach etwas Züchtigeren.
Madame LeClerc schnalzte missbilligend mit der Zunge und murmelte unablässig vor sich hin, wie wenig Geschmack die jungen Engländerinnen hatten.
„Schade, ich fand das Kostüm einmalig. Vielleicht sollte ich es mitnehmen, als zweite Möglichkeit, du verstehst?”, lachte Susan und folgte der Modistin in den Ausstellungsraum, wo sie ihr noch einmal versicherte, wie sehr sie die Modistin verehrte.
„Sie sind die exklusivste Adresse in London, ach was sage ich da, in ganz England! Wir müssen dem alten Bonny fast dankbar sein, dass er die halbe Welt ins Chaos stürzt. Schließlich kommen wir dadurch in den Genuss Ihrer Brillanz und Ihrer Kunstfertigkeit! Miss Barkley ist wahrlich eine Ignorantin, dass sie dieses Meisterwerk verschmäht.”
Die kleine, rundliche Frau, die trotz ihres französisch klingenden eindeutigen Namens im sonnigen Cornwall geboren war und deren eigentlicher Name Fanny Smith lautete, sonnte sich in der Anerkennung des hochgeborenen Mädchens und plusterte sich noch etwas mehr auf. „Ganz recht, diese Mademoiselle ’at keinen Geschmack! Non, non, aber diese Creation ist ohnehin verkauft. Lady Plaisley ’at es geordert. Eine Lady mit ’ervorragendem Geschmack!”
Susans Augen leuchteten auf, als Madame LeClerc den Namen der zukünftigen Besitzerin des Kostüms nannte. Sie kannte die Lady, nicht persönlich, aber das war ohnehin nicht unbedingt empfehlenswert, denn die Witwe des fünften Earls of Plaisley war keine Bekanntschaft für unbedarfte Debütantinnen, zu denen Miss Carmichael zumindest dem Anschein nach zählte. Lady Plaisley stand unter dem Ruf, Männer wie Unterwäsche zu wechseln. Soweit es Susan bekannt war, war ihr Geschmack dabei nicht unbedingt über jeden Zweifel erhaben.
„Oh, non, non! Jetzt fällt mir ein, sie ’at die Stadt verlassen! Ihr Stiefsohn ’at sie aufs Land verbannt.”
Eine missmutige Falte verunstaltete sekundenlang die makellose Stirn des jungen Mädchens, glättete sich aber schnell wieder. „Wie tragisch! Dann wird Lady Plaisley wohl nicht am Maskenball im Charlton House teilnehmen. Und ihre traumhafte Robe? Niemand wird sie zu Gesicht bekommen, oh welche Verschwendung!” Susan war die Verschwendung herzlich egal, aber ihr sorgsam ausgeklügelter Plan löste sich mir nichts dir nichts in Wohlgefallen auf. Voller Zorn richtete sie ihren dräuenden Blick auf die nutzlose Waffe und wünschte sich, ihren Unmut ausdrücken zu können. Leider musste sie die perfekte junge Dame mimen, wenn sie Elizabeth wie geplant zu Fall bringen wollte.
„Mon dieu, non! Isch erinnere misch, isch ’abe la Creation bereits weiterverkauft! Le bell Monsigneur le Visconte de
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