Der Hundeflüsterer - Thriller (German Edition)
weg.
Plötzlich erinnerte sich Tom wieder an die am Vortag gelieferte Klimaanlage, die im Besprechungsraum stand und heute eingebaut werden würde. Die Klimaanlage in der unförmigen Verpackung, die François eigentlich gestern hätte untersuchen müssen, doch er hatte eine Verabredung mit einer Botschaftsangestellten gehabt, deshalb war der Check auf heute verschoben worden. Als Agent wusste Tom Indizien richtig zu deuten und so kombinierte er blitzschnell, dass Karsais präpariertes Handy einen elektronischen Impuls auslöste, der die als Klimaanlage getarnte Bombe in die Luft jagen würde. Es war 08:29 Uhr und Jane würde in einer Minute tot sein.
Das Leben schien sich auf diese eine Minute zu verdichten. Janes unverwundbares Lächeln vor Augen, lief Tom durch die lang gezogene Halle, verfluchte die kugelsichere Jacke und die schweren Stiefel. Als er endlich die Treppe erreicht hatte, sah er Karsai in seiner goldenen Trainingsjacke bereits die Balustrade im ersten Stock entlanglaufen.
„Jane! François! Achtung, eine Bombe!“, brüllte er und seine Schreie wurden von den rohen Betonwänden in der Halle zurückgeworfen, verhallten zunächst ohne Reaktion. Dann sah er oben François, der mit gezogener Pistole in den Flügeltüren des Besprechungsraums erschien, blitzschnell die Situation einschätzte und sofort schoss. Auch Tom feuerte mit seiner Glock eine Salve nach oben, Karsai wurde getroffen, hatte aber noch die Kraft, den Auslöser seines Handys zu drücken. Eine gewaltige Detonation erschütterte das Gebäude, der Besprechungsraum und Teile der Balustrade stürzten in die Tiefe, durch die Wucht der Explosion wurde Tom in die Luft geschleudert, ein herumfliegendes Betonteil traf ihn mit voller Wucht knapp über dem rechten Auge, doch er spürte keinen Schmerz, sondern war abgetaucht in eine Welt aus Staub, Blut und Tod. Stille in seinem Kopf, Rauschen in den Ohren und Blut, das aus der Wunde über sein rechtes Auge tropfte. Das Glas seiner Armbanduhr war zersprungen und die Zeiger waren auf 08:30 Uhr stehen geblieben.
Wie in Trance wankte Tom auf die ineinander verkeilten Betonteile und Eisenträger zu, schüttelte die Sanitäter ab, die seine Wunde versorgen wollten, und blickte verwirrt umher. Dann sah er einen Arm aus dem Schutt ragen und keuchend schleppte er sich darauf zu, räumte mit seinen bloßen Händen den Schutt weg und zog einen zerfetzten blutigen Körper heraus. Mit einer zärtlichen Geste strich er den Staub aus den blutverkrusteten blonden Haaren und suchte vergeblich das unverwundbare Lächeln in Janes zerschmettertem Gesicht.
Um 08:45 Uhr hielt er Jane in den Armen und trug sie hinaus auf den staubigen Schulhof, wo der Wind gerade eine zerknüllte Zigarettenpackung hochwirbelte und schwerbewaffnete Soldaten hektisch umherliefen. Die Morgensonne strahlte über die Berge und Jane war tot.
1. Arta, Mallorca, Spanien – zwei Jahre später
Das Rasiermesser funkelte, als es der Sonnenstrahl traf, der durch das schmale Fenster in den winzigen Raum fiel. Als das Rasiermesser den Hals erreichte, zögerte die Hand, die es führte, für den Bruchteil einer Sekunde und fast schien es so, als wäre die scharfe Klinge ausschließlich dafür geschaffen, die Kehle durchzuschneiden.
David Stein verscheuchte die düsteren Gedanken und wischte sich den Rasierschaum aus dem Gesicht. Er schob Jane zurück in die schwarze Erinnerung, wo sie sich als vergilbter Schatten immer weiter auflöste, und dachte an Sancho. Prüfend betrachtete er sich im Spiegel, die scharfen Falten, die sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln zogen, hatten sich vertieft und ließen ihn älter als fünfunddreißig wirken. Mit dem Daumennagel strich er über die Narbe knapp oberhalb seines rechten Auges, die seine Braue in zwei Teile zerschnitt. Durch die gebräunte Haut leuchteten seine blauen Augen noch intensiver und seine streichholzkurzen blonden Haare wirkten von der Sonne wie ausgebleicht.
Mit einer Kaffeetasse in der Hand ging er von seinem kleinen Wohnzimmer hinaus auf die überdachte Terrasse und blickte hinunter zu dem Gitterkäfig, der versteckt am unteren Ende des Gartens stand und der oben mit Bastmatten gegen die Sonne geschützt war. Der Käfig erinnerte David immer an ein Gefängnis, aber es war die einzige Möglichkeit gewesen, um Sancho ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. David streckte seinen Oberkörper und begann mit seinen täglichen Übungen auf der Terrasse, um seinen Körper, vor allem
Weitere Kostenlose Bücher