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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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gedenken.«
    Aber es bedurfte keiner wiederholten Versicherung, daß sie ganz im Ernst rede: der General war wie alle Trinker sehr gefühlvoll und konnte wie alle heruntergekommenen Trinker die Erinnerung an die glückliche Vergangenheit nicht ertragen. Er stand auf und begab sich gehorsam nach der Tür, so daß Lisaweta Prokofjewna sogleich wieder Mitleid mit ihm empfand.
    »Ardalion Alexandrytsch! Väterchen!« rief sie ihm nach. »Bleib noch einen Augenblick hier! Wir sind allzumal Sünder. Wenn du fühlen wirst, daß dein Gewissen dir nicht mehr soviel Vorwürfe macht, dann komm zu mir; dann wollen wir uns zusammensetzen und von alten Zeiten plaudern. Ich bin ja vielleicht noch fünfzigmal sündhafter als du. Aber jetzt leb wohl, geh, du hast hier nichts zu suchen!« fügte sie hinzu, in Angst, daß er wieder umkehren könnte.
    »Sie täten gut, wenn Sie ihm vorläufig nicht nachgingen«, sagte der Fürst, um Kolja aufzuhalten, der seinem Vater schnell folgen wollte. »Sonst wird er nach einer Minute ärgerlich werden, und der ganze segensreiche Augenblick ist dann verdorben.«
    »Das ist richtig, laß ihn jetzt in Ruhe, geh erst in einer halben Stunde hin!« sagte Lisaweta Prokofjewna befehlend.
    »Da sieht man, was es zu bedeuten hat, wenn man wenigstens einmal im Leben die Wahrheit sagt. Zum Weinen hat es ihn gebracht!« wagte Lebedew hinterdrein zu bemerken.
    »Na, und du mußt auch ein netter Patron sein, Väterchen, wenn das wahr ist, was ich über dich gehört habe«, kanzelte ihn Lisaweta Prokofjewna sogleich ab.
    Das gegenseitige Verhältnis aller bei dem Fürsten versammelten Besucher klärte sich allmählich. Der Fürst wußte die ihm von der Generalin und ihren Töchtern bewiesene Teilnahme selbstverständlich in ihrem ganzen Wert zu »Aber bin ich denn der einzige, der davon spricht?« versetzte Kolja, der sich nicht den Mund verbieten ließ. »Alle haben damals davon gesprochen und sprechen auch jetzt noch davon. Hier Fürst Schtsch. und Adelaida Iwanowna und überhaupt alle haben erklärt, daß sie auf seiten des ›armen Ritters‹ stehen; also muß doch der ›arme Ritter‹ existieren und existiert jedenfalls, und wenn nur Adelaida Iwanowna wollte, so würden wir meiner Ansicht nach alle schon längst wissen, wer der ›arme Ritter‹ ist.«
    »Inwiefern soll ich denn daran schuld sein?« fragte Adelaida lachend.
    »Sie wollten sein Porträt nicht zeichnen, insofern sind Sie daran schuld! Aglaja Iwanowna bat Sie damals, das Porträt des ›armen Ritters‹ zu zeichnen, und setzte Ihnen den ganzen Vorwurf zu dem Bild auseinander, den sie sich selbst ausgedacht hatte; erinnern Sie sich noch an diesen Vorwurf? Aber Sie wollten es nicht...«
    »Wie hätte ich den Betreffenden denn zeichnen sollen? In der Beschreibung wird doch von diesem ›armen Ritter‹ gesagt:
    ›Niemals in die Höhe schlug er
Vorm Gesichte das Visier.‹
    Was konnte dabei also für ein Gesicht herauskommen? Was sollte ich zeichnen? Ein Visier? Einen Anonymus?«
    »Ich verstehe von alledem nichts; was ist das nun wieder für ein Visier?« ereiferte sich die Generalin, die im stillen sehr wohl zu begreifen anfing, wer mit der wahrscheinlich schon lange geläufigen Benennung »der arme Ritter« gemeint war.
    Aber ganz besonders ärgerte sie sich darüber, daß Fürst Lew Nikolajewitsch ebenfalls verlegen geworden war und schließlich eine Befangenheit bekundete wie ein zehnjähriger Junge.
    »Nun also, wird diese Dummheit endlich ein Ende nehmen? Wird mir nun erläutert werden, was dieser ›arme Ritter‹ bedeutet? Ist das etwa ein so furchtbares Geheimnis, daß man gar nicht daran rühren darf?«
    Aber alle lachten nur weiter.
    »Es ist ganz einfach ein merkwürdiges russisches Gedicht«, ergriff endlich Fürst Schtsch. das Wort, offenbar in dem Wunsch, die Sache möglichst schnell zu erledigen und dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, »ein Gedicht über einen ›armen Ritter‹, ein Fragment ohne Anfang und Schluß. Vor einem Monat scherzten wir einmal alle nach Tisch und suchten wie gewöhnlich nach einem Vorwurf für ein künftiges Bild Adelaida Iwanownas. Sie wissen, daß es bereits zu einer Art von Familiensport geworden ist, Vorwürfe für Adelaida Iwanownas Bilder ausfindig zu machen. Da verfielen wir auch auf den ›armen Ritter‹; wer zuerst auf diesen Einfall kam, weiß ich nicht mehr ...«
    »Aglaja Iwanowna war es!« rief Kolja.
    »Mag sein; ich will es nicht bestreiten, obwohl ich mich nicht erinnere«,

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