Der Idiot
riesige Maschine neuester Konstruktion, die ohne Sinn und Verstand dieses herrliche, unschätzbare Wesen ergriff, zermalmte und verschlang, dieses Wesen, das allein so viel wert war wie die ganze Natur und all ihre Gesetze und der ganze Erdball, der vielleicht einzig und allein zu dem Zweck geschaffen wurde, damit dieses Wesen auf ihm erschiene! Gerade diese Vorstellung von einer dunklen, brutalen, sinnlosen Macht, der alles gehorcht, wird durch dieses Bild zum Ausdruck gebracht und teilt sich dem Beschauer unwillkürlich mit. Diese Menschen, die den Toten umgaben und von denen hier keiner auf dem Gemälde dargestellt ist, mußten an diesem Abend, der mit einem Schlag all ihre Hoffnungen und beinah ihren Glauben vernichtete, die entsetzlichste Angst und Bestürzung empfinden. Sie mußten in der schrecklichsten Furcht auseinandergehen, obgleich sie alle eine gewaltige Idee in sich trugen, die ihnen nie wieder entrissen werden konnte. Und wenn der Herr und Meister selbst am Tage vor der Hinrichtung sein eigenes Bild hätte sehen können, hätte er dann wohl so, wie es jetzt wirklich geschehen ist, sich kreuzigen lassen und den Tod erlitten? Auch diese Frage steigt einem bei Betrachtung dieses Gemäldes unwillkürlich auf.
Alles dies schwebte auch mir ganze anderthalb Stunden lang, nachdem Kolja weggegangen war, bruchstückweise vor, vielleicht tatsächlich im Fieberwahn, manchmal aber auch in klarer Gestalt. Kann einem denn das in klarer Gestalt vorschweben, was überhaupt keine Gestalt hat? Aber es schien mir zeitweilig, als sähe ich diese grenzenlose Macht, dieses taube, dunkle, stumme Wesen in einer seltsamen, unglaublichen Form vor mir. Ich erinnere mich, daß es mir vorkam, als führe mich jemand, der eine Kerze hielt, an der Hand und zeige mir eine riesige, widerliche Tarantel und versichere mir, das sei eben jenes dunkle, taube, allmächtige Wesen, und als lache er über meine Empörung. In meinem Zimmer wird vor dem Heiligenbild immer zur Nacht das Lämpchen angezündet, das zwar nur ein schwaches, trübes Licht gibt, jedoch kann man alles erkennen und dicht bei ihm sogar lesen. Ich glaube, es war schon Mitternacht vorüber; ich war völlig wach und lag mit offenen Augen da; plötzlich wurde die Tür meines Zimmers geöffnet, und Rogoshin trat herein.
Er trat herein, machte die Tür wieder zu, sah mich schweigend an und ging leise in die Ecke zu dem Stuhl, der dicht unter dem Heiligenlämpchen steht. Ich war sehr erstaunt und blickte erwartungsvoll hin; Rogoshin stützte sich mit dem Ellbogen auf ein Tischchen und begann, mich schweigend anzuschauen. So vergingen zwei bis drei Minuten, und ich erinnere mich, daß sein Stillschweigen mich sehr verletzte und ärgerte. Warum wollte er denn nicht reden? Daß er so spät kam, schien mir allerdings sonderbar, aber ich erinnere mich, daß ich gerade darüber eigentlich nicht erstaunt war. Im Gegenteil: ich hatte ihm zwar am Morgen meinen Gedanken nicht deutlich ausgesprochen, aber ich wußte, daß er ihn verstanden hatte; und dieser Gedanke war derart, daß Rogoshin wegen desselben allerdings herkommen konnte, um nochmals darüber zu reden, selbst zu so später Stunde. Ich meinte auch, daß er deswegen gekommen sei. Wir hatten uns am Vormittag in einigermaßen feindseliger Stimmung getrennt, und ich erinnere mich sogar, daß er mich ein paarmal sehr spöttisch angesehen hatte. Und nun las ich in seinem Blick den gleichen Spott, und das war es eben, was mich beleidigte. Daran, daß dies wirklich Rogoshin selbst war und nicht eine Erscheinung, ein Fieberwahn, daran zweifelte ich anfangs nicht im geringsten. Ein solcher Gedanke kam mir überhaupt gar nicht in den Kopf.
Unterdessen saß er noch immer da und schaute mich mit demselben Lächeln an. Ich drehte mich zornig im Bett herum, stützte mich ebenfalls mit dem Ellbogen auf das Kopfkissen und beschloß absichtlich, auch meinerseits zu schweigen, und wenn wir noch so lange so dasitzen sollten. Aus irgendeinem Grunde wollte ich durchaus, daß er zuerst anfangen sollte zu reden. Ich glaube, so vergingen etwa zwanzig Minuten. Plötzlich kam mir der Gedanke: wie, wenn das nicht Rogoshin ist, sondern eine Erscheinung?
Weder in meiner Krankheit noch sonst je in der vorhergehenden Zeit hatte ich eine Erscheinung gehabt; aber ich hatte immer, schon seit meiner Kinderzeit, gemeint, und das meinte ich auch jetzt, das heißt noch vor kurzem, wenn ich auch nur ein einziges Mal eine Erscheinung sähe, so würde ich auf der
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