Der Joker
Kommt jemand an meine Eingangstür, schlägt ihm der Hundegestank wie ein nasser Lappen ins Gesicht, und der Besucher macht auf dem Absatz kehrt. Niemand ist scharf darauf, länger als nötig an der Tür zu bleiben, geschweige denn meine Hütte zu betreten. Ich hab sogar versucht, dem Türsteher ein Deo aufzuschwätzen, habe es ihm in Unmengen unter seine vier Achseln gerieben. Ich hab ihn von oben bis
unten mit Raumspray besprüht, aber das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Während dieser Zeit roch er wie ein finnisches Plumpsklo.
Früher gehörte er meinem Vater, aber als der alte Herr vor etwa sechs Monaten starb, hat meine Mutter ihn zu mir abgeschoben. Sie hatte es satt, dass er sein Geschäft immer unter der Wäscheleine machte und ihre Klamotten voll stänkerte.
(»Er könnte seinen Haufen überall im Garten hinsetzen!«, hat sie immer gekeift. »Aber wo macht er es?« Sie beantwortete die Frage selbst. »Ausgerechnet unter der verdammten Wäscheleine.«)
Und so kam es, dass ich ihn mitnahm, als ich auszog.
In meine Hütte.
Zu seiner Tür.
Er ist glücklich.
Und ich auch.
Er ist glücklich, wenn die Sonne ihn mit Wärme verwöhnt, ihn damit durch die Fliegengittertür berieselt. Er ist glücklich, dort zu schlafen und abends, wenn ich die Haustür zumache, gerade so weit wie nötig zur Seite zu kriechen. In solchen Momenten liebe ich diesen Hund abgöttisch. Ach was, ich liebe ihn jederzeit. Aber Himmel noch mal, wie er stinkt!
Ich nehme an, dass er bald sterben wird. Ich bin darauf vorbereitet, immerhin hat er schon siebzehn Jahre auf dem Buckel. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich darauf reagieren werde, wenn es so weit ist. Wenn ich es merke, wird er sich bereits dem eigenen, friedvollen Tod gestellt haben und in aller Ruhe gegangen sein. Meistens stelle ich mir vor, dass ich mich niederkauere, dort neben der Tür,
mein Gesicht in seinem stinkenden Fell vergrabe und mir die Augen ausheule. Ich warte darauf, dass er aufwacht, aber das tut er nicht. Ich begrabe ihn, keine Frage. Ich trage ihn nach draußen, fühle, wie seine Wärme sich in Kälte verwandelt, während der Horizont ausfranst und in meinem Hinterhof zu Boden sinkt. Aber im Augenblick geht’s ihm gut. Ich sehe, wie er atmet. Er riecht bloß, als sei er schon tot.
Ich besitze einen Fernseher, der erst mal warmlaufen muss, ein Telefon, das fast nie klingelt, und einen Kühlschrank, der wie ein Radio summt.
Auf dem Fernseher steht ein Foto meiner Familie, das schon ziemlich alt ist.
Ich sehe selten fern, aber von Zeit zu Zeit schaue ich mir das Foto an. Es hat einen ziemlich hohen Unterhaltungswert, obwohl es immer staubiger wird. Es zeigt eine Mutter, einen Vater, zwei Schwestern, mich und einen jüngeren Bruder. Die Hälfte der Personen lächelt, die andere Hälfte nicht. Ich mag es.
Was meine Familie angeht: Meine Mutter ist eine von jenen knallharten Weibern, die man nicht einmal mit einer Axt um die Ecke bringen könnte. Außerdem flucht sie in letzter Zeit ausgiebig, aber davon später mehr.
Wie ich schon sagte, mein Vater starb vor sechs Monaten. Er war ein einsamer, freundlicher, stiller, versoffener Verlierer. Ich könnte zwar sagen, dass das Leben mit meiner Mutter nicht einfach war und sie ihn in den Suff trieb, aber in Wirklichkeit gibt es keine Entschuldigung dafür. Man kann Ausreden finden, aber man glaubt nicht daran. Er war Möbelpacker. Er starb in einem alten Ohrensessel,
der immer noch im Möbelwagen stand. Dort hat man ihn gefunden. Er saß einfach nur da, entspannt und tot. Der Möbelwagen war noch fast voll, heißt es. Die anderen haben gedacht, er hätte sich verzogen, weil er sich vor der Arbeit drücken wollte. Seine Leber hat versagt.
Mein Bruder Tommy hat das meiste in seinem Leben richtig gemacht. Er ist ein Jahr jünger als ich und geht wie gesagt an die Uni.
Meine Schwestern heißen Leigh und Katherine.
Als Katherine mit siebzehn schwanger wurde, habe ich geweint. Damals war ich zwölf. Kurz darauf ist sie ausgezogen. Sie wurde nicht aus dem Haus getrieben oder so etwas in der Art. Sie zog aus und heiratete. Das war eine ziemlich große Angelegenheit.
Ein Jahr später, als Leigh das Haus verließ, gab es keine Probleme.
Sie war nicht schwanger.
Ich bin der Einzige, der noch in unserer Heimatstadt lebt. Die anderen sind alle in die Großstadt gezogen. Besonders Tommy geht es gut. Er ist auf dem besten Weg, Anwalt zu werden. Ich wünsche ihm Glück. Das meine ich ganz ernst.
Neben dem
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