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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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was dem armen Ding passiert ist. Vielleicht war es Mord, vielleicht …«, ihre Stimme wurde leiser, »… wird irgendein Mann in den nächsten Tagen dafür bezahlen, dass er sie angefasst hat. Aber wir mischen uns nicht ein, hast du mich verstanden?« Johannes erwiderte nichts und senkte den Kopf. Marfa konnte Gedanken lesen, und der Gedanke, der ihm nun durch den Kopf ging, würde ihr überhaupt nicht gefallen.
    »Hast du sie gesehen?«, fragte er nach einer Weile.
    Marfa machte eine ungehaltene Geste. »Nein. Warum sollte ich mir eine Tote ansehen, nun? Was gibt es da zu sehen, was?« Und noch schärfer setzte sie hinzu: »Wenn es deine Christine wäre – würdest du wollen, dass jemand sie anstarrt?«
    Johannes schwieg betreten und betrachtete den hölzernen Türgriff, den Iwan schnitzte.
    »Hör endlich auf, herumzuzappeln!«, knurrte Onkel Michael, der bis jetzt schweigend dagesessen hatte und eine Bauskizze für ein Holzgerüst angefertigt hatte. Im Schein des Feuers bekam sein weißes Haar einen goldenen Glanz und erinnerte daran, wie Michael als junger Mann ausgesehen hatte. »Tu irgendwas! Wenn dir sonst nichts einfällt, kannst du die Schnitzmesser schärfen.«
    Johannes stand auf und holte sich die Kiste, in der sorgfältig sortiert mehrere Messer lagen. Seufzend ließ er sich auf seinem Schemel nieder und klappte vorsichtig, um seine geschwollenen Finger zu schonen, den Deckel hoch. Unauffällig beobachtete er Marfa und Michael, die sich über die Steuern für das Schleifen von Äxten unterhielten, über das Werkzeug, das neu hinzugekauft werden musste, und über das neue Haus, das eines Tages nicht weit vom Newaufer entfernt stehen würde. Seine Ungeduld wurde immer brennender, aber er durfte keinen Verdacht erregen. Also beugte er sich tief über seine Arbeit und dachte darüber nach, wie er es anstellen würde, sich ungesehen hinter die Werkstatt zu schleichen. Iwan beendete seine Arbeit an dem Türknauf und pustete ein paar Holzsplitter weg. Liebevoll fuhr er mit der Hand über das Holz. Johannes konnte nicht umhin, die Kunstfertigkeit des Leibeigenen zu bewundern. Seine Becher und Trinkschalen verkauften sich zu einem guten Preis. Sogar Zar Peter besaß einen hölzernen Messergriff aus Iwans geschickten schwieligen Händen. Was jeden anderen Handwerker mit Stolz erfüllt hätte, war für den Alten jedoch ein Grund, nachts schlecht zu schlafen. Er fürchtete nicht die Hölle oder den Teufel, nein, Iwan hatte Angst vor dem Zaren. Eine Furcht, die Johannes gut verstehen konnte. So beeindruckend der riesenhafte Herrscher war, so launisch und unberechenbar konnte er sein. Und Iwan fürchtete zu Recht, Zar Peter könnte ihm aus einer Laune heraus doch noch eigenhändig den Bart abschneiden, so wie er es sogar bei den höchsten Würdenträgern in Moskau gemacht hatte. Zar Peter konnte in seiner Begeisterung und Güte maßlos sein – und ebenso maßlos in seinen Wünschen und seiner Willkür. Was ein Mörder zu erwarten hatte, konnte Johannes sich nur zu lebhaft vorstellen.
    Er schauderte und linste aus dem Fenster zu dem Holzbau hinüber, in dem sich die Schleifbänke und Sägen befanden. Rechts am Gebäude, unter einem Vordach, war Holz aufgeschichtet. Vor der Werkstatt hielt einer von Derejews Leuten Wache und Johannes nahm an, dass irgendwo -wahrscheinlich unter dem Fenster auf der Nordseite des Gebäudes – noch ein zweiter Bursche stand. Sehr viel Aufwand, um eine Tote zu bewachen, die angeblich einfach nur ertrunken war. Irgendetwas stimmte nicht. Nicht dass Johannes ernsthaft glaubte, das Mädchen könnte wirklich eine Russalka sein. Johannes glaubte nicht an Dinge wie das Wilde Heer, das über den Nachthimmel galoppierte, an Nachzehrer oder rachsüchtige Seelen. Aber wenn Derejew solche Maßnahmen ergriff, war etwas Außergewöhnliches mit ihr geschehen. Vermutlich handelte es sich bei dem Mädchen um eine Adlige. Es roch nach Mord, zweifellos.
    Später als sonst zogen sich Marfa und sein Onkel in ihre Kammer zurück, die Gehilfen und Iwan legten sich auf Pritschen und Decken vor den Ofen. Johannes lag auf seiner Bettstatt, die tagsüber als Sitzbank diente, und starrte mit offenen Augen in das seltsame Zwielicht, das auch die dicken Vorhänge an den Fenstern nicht ganz aussperren konnten. Wie immer in solchen Nächten versuchte er sich Christines Gesicht vorzustellen, ihr hellbraunes Haar und ihre sanften Züge. Heute allerdings gelang es ihm nicht. Heute hatte die Kaufmannstochter

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