Der langsame Walzer der Schildkroeten
Mademoiselle de Bassonnière?«
»Ja. Die beiden Männer waren durch ihre Verbrechen miteinander verbunden, sie teilten die gleiche Ekstase. Der Zorn des einen fachte den Zorn des anderen an. Bei jedem weiteren Mord erneuerten sie den Pakt, den sie mit ihrem ersten Verbrechen geschlossen hatten …«
»Und ich bin diesem Gemetzel nur durch Zufall entkommen …«
»Sie hat er in gewisser Weise sogar beschützt. Er nannte sie ›kleine Schildkröte‹. Sie haben ihn niemals provoziert, weder physisch noch verbal. Sie haben nicht versucht, ihn zu verführen, oder jemals seine Autorität infrage gestellt … Wenn ich Sie wäre«, fügte Inspecteur Garibaldi hinzu, »würde ich versuchen, die Kinder zu schützen, und für eine Weile keine Zeitungen ins Haus holen. Solche Geschichten lieben die Journalisten, vor allem während des Sommerlochs. Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir: ›Der letzte Walzer‹, ›Todeswalzer im Wald‹, ›Tragischer Ball auf der Lichtung‹, ›Ein wunderschönes Verbrechen‹ …«
Hortense las es als Erste. Sie saß mit Nicholas in Saint-Tropez auf der Terrasse von Sénéquier beim Frühstück. Es war acht Uhr morgens. Hortense stand in Saint-Tropez gerne früh auf. Sie sagte, dann sei die Stadt noch nicht »verunstaltet«. Sie hatte eine ganze Theorie über das Leben zu verschiedenen Tageszeiten in dem kleinen Hafenort entwickelt. Sie hatten einen Stapel Zeitungen gekauft und lasen sie mit Blick auf die sanft schwankenden Yachten und die vorbeischlendernden Touristen, von denen manche die ganze Nacht durchgefeiert hatten und jetzt noch einen letzten Kaffee tranken, ehe sie schlafen gingen.
Hortense stieß einen Schrei aus, knuffte Nicholas mit dem Ellbogen in die Seite, sodass dieser sich beinahe an seinem Croissant verschluckt hätte, und rief ihre Mutter an.
»Wow! M’man! Hast du die Zeitung gelesen?«
»Ich weiß, Schatz.«
»Stimmt das, was da drin steht?«
»Ja.«
»Das ist ja grauenvoll! Und ich wollte dich auch noch mit ihm verkuppeln! Er selbst sieht auf dem Foto ja gar nicht so schlecht aus, aber Iris ist nicht besonders gut getroffen … Was ist mit Alexandre?«
»Er kommt morgen her, zusammen mit Zoé.«
»Du tätest besser daran, die beiden in England zu lassen! Seine Mutter ist in allen Zeitungen. Der dreht doch komplett durch, wenn er das sieht!«
»Ja, aber Philippe ist hier. Es gibt so vieles zu regeln, so viele Unterlagen auszufüllen. Und wir können ihm die Wahrheit nicht verschweigen …«
»Wie haben Alexandre und Zoé reagiert?«
»Alexandre ist sehr ruhig geblieben. Er hat nur gesagt: ›Aha, sie ist beim Tanzen gestorben‹, mehr nicht. Zoé hat furchtbar geweint. Alexandre hat ihr irgendwann das Telefon abgenommen und gesagt: ›Ich kümmere mich um sie.‹ Dieser Junge ist einfach erstaunlich!«
»Da kommt garantiert noch etwas nach.«
»Das glaube ich auch …«
»Soll ich nach Hause kommen und mich um die Kleinen kümmern? Ich krieg das hin, aber ich kann mir vorstellen, dass du auch nur noch weinst …«
»Ich kann nicht weinen. Ich bin wie erstarrt …«
»Mach dir keine Gedanken! Irgendwann fängst du auch an, und dann wirst du dich nicht mehr einkriegen!«
Hortense überlegte kurz, dann schlug sie vor: »Ich fahre mit ihnen nach Deauville … Ich stelle den Fernseher und das Radio ab, und es gibt keine Zeitungen!«
»Die Handwerker sind im Haus. Bei dem Sturm ist das Dach weggeflogen.«
»Shit!«
»Außerdem will Alexandre sicher bei der Beerdigung dabei sein. Und Zoé auch.«
»Na gut, dann komme ich nach Hause und kümmere mich in Paris um sie.«
»Unsere Wohnung ist versiegelt. Sie suchen nach Hinweisen darauf, wie Iris ihre letzten Tage verbracht hat.«
»Hmm … dann eben bei Philippe! Wir ziehen alle zu ihm.«
»Mit Iris’ ganzen Sachen? Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«
»Aber wir können doch nicht ins Hotel!«
»Doch … im Moment sind Philippe und ich zusammen im Hotel.«
»Das ist immerhin mal eine gute Nachricht. Wenigstens etwas!«
»Findest du?«, fragte Joséphine leise.
»Ja, doch …« Sie stockte kurz. »Im Grunde war es für Iris der perfekte Tod. Walzer tanzend im Arm ihres Märchenprinzen. Sie ist in einem Traum gestorben. Iris hat immer in einem Traum gelebt, nie in der Wirklichkeit. Ich finde, dieser Tod passt zu ihr. Und so braucht sie immerhin nicht zu altern. Ich habe sie mir nie als alte Frau vorstellen können. Für sie wäre das grausam gewesen!«
Joséphine fand diesen Nachruf
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