Der letzte Elf
abprallten, sondern sich tief ins Fleisch bohrten. In dicken Strömen floss heißes Blut und verschmierte das Grün seiner Schuppen. Der Drache flog mit weit ausgebreiteten Flügeln im Mondlicht, dann wurden die Pfeile zu viel, er hatte kein Blut mehr zu vergießen.
Erbrow, der letzte Drache, fiel und blieb die letzten Minuten seines Lebens im schlammigen Gras am Boden liegen.
Bis zuletzt träumte er davon, nicht zu sterben, noch ein wenig weiterleben zu können, auch so, mit durchbohrter Brust und dem Schlamm ringsum, der sich mit Blut tränkte.
Dann kam ein anderer Traum, der erste Traum, den er in seinem Leben geträumt hatte. Er träumte von sich selbst als Neugeborenes, als Junges, den Kopf im Schoß seines Elfenbruders auf einer unendlichen Wiese voller Gänseblümchen. Er öffnete ein letztes Mal die Augen, das Wunder hatte sich noch einmal ereignet: Tausende kleine Blümchen umgaben ihn, leuchteten im Mondlicht unter den Füßen der Soldaten, die vorsichtig näher kamen. Erbrow betrachtete die Blütenköpfchen und fühlte, wie Glück ihn durchströmte, dann schloss er die Augen wieder, und diesmal für immer.
KAPITEL 23
K alt dämmerte der Morgen herauf, neblig und trüb. Yorsch zitterte. Das kam nicht nur von der Verletzung, der Müdigkeit und der Kälte, er hatte mittlerweile genug Energie, damit fertig zu werden.
Der Verlust Erbrows lastete wie ein Mühlstein auf ihm.
Er war seine Familie gewesen, sein Bruder.
Es sah so aus, als müssten alle, die er liebte oder die ihn liebten, sterben.
Alle außer Robi.
Robi war am Leben. Er musste seine Gedanken auf Robi lenken, auf ihr Atmen, ihr Lächeln, dann wurde das Gewicht wenigstens so weit leichter, dass er atmen konnte.
Nach dem riesigen Erdrutsch hatten sich die Flüchtlinge zwischen den Überresten der Hütten von Arstrid fallen lassen, alle auf einen Haufen, um es wärmer zu haben. Außerdem hatten sie, um sich zu wärmen, ein paar Feuer angezündet.
Für Yorsch war die Nacht eine einzige Folge von Enttäuschungen gewesen. Jeden Augenblick hatte er erwartet, die Flügel wieder auftauchen zu sehen, die Stichflamme zu erblicken. Es musste eine Täuschung sein, ein Trick, eine Art Streich, den Erbrow ihm spielte. Es konnte nur eine Täuschung sein, ein Trick, eine Art Streich, den er ihm spielte. Vielleicht war er verletzt und sie hatten ihn gefangen genommen. Sie würden ihn in Ketten nach Daligar bringen und gefangen halten. Er, Yorsch, würde hinziehen mit seinem Schwert und ihn befreien, er würde es mit der ganzen Garnison aufnehmen und dann würden sie gemeinsam fliehen, Erbrow mit weit ausgebreiteten Flügeln und er obenauf.
Und doch, gleichzeitig wusste er es. Ein Teil seines Gehirns machte sich weiterhin etwas vor, der andere Teil aber wusste es. Yorsch hatte Erbrows Geist genauso präzise wahrnehmen können, wie er ihn mit den Augen sehen und mit der Nase riechen konnte. In seinem Geist wusste Yorsch, dass Erbrow tot war. Wo zuvor die Wahrnehmung des Drachen gewesen war, da war jetzt eine Leerstelle, ein eisiges Nichts.
Yorsch fühlte sich niedergeschmettert von der Tatsache, dass er nun in einer Welt lebte, in der es keine Drachen mehr gab, in der es keinen Erbrow mehr gab. Er würde kein Ei mehr legen.
Im Geist rechnete er kurz nach und das versetzte ihm einen Schock. Er hatte sich so sehr daran gewöhnt, ihn wie eine Art älteren Bruder zu betrachten, ausgestattet mit einem komplizierten Mechanismus von mehreren ererbten Gedächtnissen, was ihm erlaubte, von Ereignissen zu sprechen, die sich vor Jahren oder Jahrhunderten zugetragen hatten, als ob er dabei gewesen wäre; und darüber hatte er ganz vergessen, dass Erbrow in Wirklichkeit nur zwei Monate lang gelebt hatte. Er war gewesen wie ein Meteor. Er erinnerte sich, dass »Erbrow« in der alten Elfensprache »Komet« bedeutet.
Robi hatte lange geschluchzt. Wie ihrer Mutter lief auch ihr, wenn sie verzweifelt war, Flüssigkeit aus den Augen. Rotz verstopfte ihr die Nase, die Augen waren gerötet und die Lider geschwollen, als wenn man zwei Tage und zwei Nächte nicht geschlafen hätte. Einerseits fand Yorsch das nach wie vor vollkommen unsinnig, wenig hygienisch und unbequem, auf der anderen Seite hätte er von ganzem Herzen gewünscht, ebenfalls weinen zu können.
Als ob das nicht schon genügte, kam dann auch noch die grauenhafte Notwendigkeit hinzu, töten zu müssen.
Als die Morgendämmerung heraufzog, stellte sich das Problem des Essens. Alle hatten Hunger.
Weitere Kostenlose Bücher