Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John O'Farrell
Vom Netzwerk:
nicht?«
    Ein paar Stunden später saß ich in der Aula der Schule meiner Kinder und hielt den Platz neben mir frei, obwohl ich nicht wusste, ob er besetzt werden würde. Jamie und Dillie wirkten in der Schulaufführung von South Pacific mit, und ich war von der British Library auf direktem Weg hierhergekommen. Ich hatte Maddy sowohl per SMS als auch per E-Mail mitgeteilt, dass an der Kasse eine Karte für sie bereitlag, sie jedoch ebenso gut eine andere Vorstellung besuchen könne, falls sie keine Lust habe, ihrem Exmann über den Weg zu laufen. Das Lampenfieber der Kinder hinter der Bühne war nichts gegen die Nervosität eines der Erwachsenen im Zuschauerraum.
    Die Band stimmte die Ouvertüre an, und Jamie sah aus, als hätte er sich am liebsten hinter seiner Gitarre versteckt. Alle Eltern starrten zur Bühne, außer einem einsamen Vater, der in einem fort zum Eingang schielte. Dabei konnte ich der Handlung schon deshalb nur schwer folgen, weil der Regisseur intelligenterweise darauf verzichtet hatte, die Inselbewohner und ihre weißen Okkupanten mit Kindern entsprechender Hautfarbe zu besetzen. Da ich wusste, dass Dillie gleich ihren großen Auftritt hatte, gab ich mir alle Mühe, mich auf eine der berühmtesten Nummern des Musicals zu konzentrieren. In diesem Augenblick setzte sich heimlich, still und leise jemand neben mich, und Maddy flüsterte: »Hallo.«
    Mir fiel ein Stein vom Herzen. Hätte meine wunderbare Frau zu einem passenderen Zeitpunkt die Bühne meines Lebens betreten können als während des Refrains von »There Is Nothing Like a Dame«? Ich starrte sie verwundert an und rief »Maddy!«, so laut, dass sich diverse Eltern umdrehten und mich erbost anfunkelten, weil ich sie in ihrem Kunstgenuss gestört hatte. Jamie lächelte, als er sah, dass seine Mutter und sein Vater wieder vereint waren, riss sich jedoch sofort zusammen und konzentrierte sich von Neuem darauf, möglichst cool zu wirken. »Du hast Dillie noch nicht verpasst«, flüsterte ich.
    Bis kurz vor dem Ende des ersten Akts saß Maddy schweigend neben mir, was mich so unruhig machte, dass ich von »Some Enchanted Evening« und »A Cockeyed Optimist« nicht allzu viel mitbekam. Das Südlondoner Publikum zeigte sich besonders sensibel, was die im Stück nur zaghaft angedeutete Rassismuskritik betraf, und so schnappte der eine oder die andere empört nach Luft, als das Wort »Mulatte« fiel, obwohl kaum jemand wusste, was es zu bedeuten hatte. Trotzdem, es klang rassistisch, und das reichte aus, um ein paar energische Buhrufe zu provozieren.
    Schließlich, als das Mädchen, das die Emile spielte, »Younger Than Springtime« sang, beugte ich mich zu Maddy und flüsterte: »Ich habe mit deinem Vater gesprochen.«
    Ich starrte weiter stur geradeaus, als sie sich plötzlich zu mir beugte und zurückflüsterte: »Ja, er hat mich gleich danach angerufen.«
    »Ist es nicht fantastisch?«
    »Fantastisch? Was ist daran fantastisch?«
    »Schhh!«, machte ein Lehrerpärchen in der Reihe vor uns.
    »Sorry!«, wisperte ich zurück.
    Ein Ehepaar muss sich gelegentlich aussprechen, sagte ich mir, auch wenn der Rest der Welt damit ganz und gar nicht einverstanden ist. Ich versuchte zu begründen, weshalb die Entdeckung ihres Vaters unbedingt positiv zu bewerten sei, doch immer, wenn ich so laut flüsterte, dass sie mich auch verstand, wandten irgendwelche Eltern den Kopf und starrten uns wütend an.
    »Aber das ist doch eine gute Nachricht. Ich habe mir die ganze Geschichte nur eingebildet – es war nie etwas zwischen …«
    »Würden Sie bitte still sein?«, zischte jemand hinter uns.
    Als das Publikum am Ende des Songs Beifall klatschte, winkte mir Maddy, einen Augenblick mit nach draußen zu kommen, damit wir uns ungestört unterhalten konnten. In diesem Moment hatte Dillie ihren großen Auftritt. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ihre Eltern aufstanden und zum Ausgang schlichen.
    Wir standen im Flur, neben einem Schwarzen Brett mit der Aufschrift »Mein Vorbild«; nur ein oder zwei Lehrer hatten sich nicht für Martin Luther King entschieden, was zu erhitzten Kontroversen geführt hatte. Immer wenn ein Lehrer oder Darsteller vorbeihetzte, verstummten wir, und ich versuchte zu ergründen, weshalb Maddy sich mir gegenüber immer noch so abweisend verhielt.
    »Pass auf, ich kann mich erinnern, dass Yolande hier unterrichtet hat, aber das ist auch schon alles. Ich kannte sie eigentlich kaum. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum du dich nicht freust.

Weitere Kostenlose Bücher