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Der Mann, der seine Frau vergaß

Der Mann, der seine Frau vergaß

Titel: Der Mann, der seine Frau vergaß
Autoren: John O'Farrell
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erregen.
    »Eins von beidem«, sagte sie nervös.
    Maddy rief Jamie jeden Abend auf dem Handy an, und er grunzte mürrisch ein paar Worte in den Hörer, bevor er ihn an Dillie weiterreichte, die schon in den ersten zwei Tagen sämtliche Freiminuten vertelefonierte. Ich hatte Maddy sowohl eine SMS als auch eine E-Mail geschickt, aber sie sah sich noch nicht in der Lage, mit mir zu sprechen.
    Ich bot Maddy an auszuziehen und ihr und den Kindern das Haus zu überlassen, worauf sie mir wütend unterstellte, ich wolle die Verantwortung für Dillie und Jamie auf sie abwälzen, um ungestört jungen Kolleginnen nachsteigen zu können.
    Gary und Linda luden mich zum Abendessen ein, und bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass sie mit Maddy über mich gesprochen und zu meiner Verteidigung angeführt hatten, ich sei immerhin ehrlich gewesen.
    »Gut, er gibt ja zu, dass es dumm war«, hatte Linda gesagt. »Aber nicht jeder wäre freiwillig mit der Wahrheit herausgerückt …«
    »Ich jedenfalls nicht«, hatte Gary freudestrahlend eingeworfen. Dabei hatte er allen Grund, deprimiert zu sein. Er erzählte mir, dass er sich schweren Herzens dazu entschlossen habe, YouNews endgültig vom Netz zu nehmen.
    »Och nö – das tut mir leid.«
    »Ich dachte, das wird das große Ding, Mann. Ich dachte, damit schlagen wir Murdoch aus dem Rennen.«
    »Nun ja, er ist schon ziemlich mächtig. Weißt du, global gesehen …«
    »Das mit den nutzergenerierten Nachrichten funktioniert nicht. Die Leute haben sich einfach was aus den Fingern gesaugt.«
    »Ganz im Gegensatz zum gemeinen Boulevardschmierfinken.«
    »Ich fand’s prima«, versuchte Linda ihn zu trösten. »Es gab da zum Beispiel ein echt lustiges Video von einem Schimpansen mit Feuerwehrschlauch …«
    »Linda! Das war nicht der Sinn der Sache.«
    »Dann bist du also nicht mehr online?«
    »Na ja, ich habe im Forum angekündigt, dass die Site geschlossen wird. Aber dann hat irgendein Scherzbold behauptet, mein Post wäre ein Fake und YouNews hätte CNN gekauft, und jetzt ist im Chatroom die Hölle los.«
    »Das ist das Problem mit der Massenintelligenz. Die Masse ist in der Regel ziemlich blöd.«
    Irgendwie schien alles schiefgelaufen zu sein. Mit zwanzig schaut man vertrauensvoll und optimistisch in die Zukunft; man schmiedet hochfliegende Pläne, die es früher oder später zu verwirklichen gilt. Mit dreißig weiß man vor lauter Windelnwechseln, Kindergeschrei, Umzügen und Überstunden nicht, wo einem der Kopf steht. Erst mit vierzig hat man die Zeit, in Ruhe Bilanz zu ziehen und darüber nachzudenken, wo man steht und was man erreicht hat. Und dann wird einem plötzlich klar, dass die heimlichen Hoffnungen und übertriebenen Erwartungen sich nicht einmal annähernd erfüllt haben. Mit vierzig beginnt das Jahrzehnt der Enttäuschungen.
    Ich hatte einen letzten Termin bei Dr. Lewington, die mich eigentlich hatte anrufen wollen, um sich nach dem Fortgang meiner Amnesie zu erkundigen. »Der Witz ist – ich hab’s vergessen!« Sie kicherte. »Was ist das menschliche Gehirn doch für ein faszinierendes Organ!« Wir plauderten ein Weilchen, aber als sie mich fragte, ob mir noch irgendwelche wichtigen Erinnerungen gekommen seien, zögerte ich einen Augenblick und sagte dann: »Äh, nein. Leider nicht.« Dabei hätte ich ihr vielleicht mitteilen sollen, dass dies die erste zurückerlangte Erinnerung war, die ich kurioserweise wieder vergessen hatte. Zwar erinnerte ich mich deutlich an den Moment, als mir alles wieder eingefallen war, doch die Einzelheiten meines amourösen Abenteuers mit Yolande lagen inzwischen größtenteils im Dunkeln. Als hielte mein Unterbewusstsein es für ungehörig, sich an diese leidige Affäre zu erinnern.
    Mir fiel auf, dass der Keramikkopf auf Dr. Lewingtons Schreibtisch zerbrochen und ungeschickt wieder zusammengeklebt worden war. Schließlich verkündete sie: »Tja, ich glaube, wir können nichts weiter für Sie tun. Ich wünsche Ihnen viel Glück auf Ihrem weiteren Lebensweg.«
    Da ich schon einmal im Krankenhaus war, beschloss ich, Bernard einen kleinen Besuch abzustatten. Das hatte ich zwar eigentlich schon viel früher tun wollen, aber mein Leben war ein solches Durcheinander gewesen, dass ich einfach nicht dazu gekommen war. Ich konnte ihn jetzt schon kichern hören: »Besser spät als nie!«
    »Bernard?«, fragte Dr. Lewington mit ratloser Miene, als ich mich erkundigte, wo er zu finden sei.
    »Wissen Sie nicht mehr? Der redselige Bursche in dem Bett
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