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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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erklärte sie: »Zum Glück hast doch auch du etwas dreinzureden!«
    »Ich habe dir schon gesagt, daß du einfach verrückt bist!«
    Clarisse lächelte und nahm das als Schmeichelei auf. Sie legte dem Freund die Hand auf den Arm und fragte: »Das österreichische Jahr hältst du doch für einen Unsinn?«
    »Natürlich.«
    »Ein Nietzschejahr wäre aber etwas Gutes; warum soll man nun etwas bloß deshalb nicht wollen dürfen, weil es auch nach unseren Begriffen gut wäre?!«
    »Wie denkst du dir denn eigentlich ein Nietzsche-Jahr?« fragte er.
    »Das ist deine Sache!«
    »Du bist lustig!«
    »Gar nicht. Sag mir, warum es dir lustig vorkommt, das zu verwirklichen, was dir geistig ernst ist!?«
    »Das will ich gern tun« erwiderte Ulrich und machte sich von ihrer Hand los. »Es muß ja nicht gerade Nietzsche sein, es könnte sich um Christus oder Buddha auch handeln.«
    »Oder um dich. Denk dir doch ein Ulrich-Jahr aus!« Sie sagte das genau so ruhig, wie sie ihn aufgefordert hatte, er möge Moosbrugger befreien. Aber diesmal war er nicht zerstreut, sondern blickte ihr ins Gesicht, während er ihre Worte hörte. In dem Gesicht war nur das gewöhnliche Lächeln Clarissens, das unfreiwillig immer wie eine kleine, lustige, von der Anstrengung emporgepreßte Grimasse hervorkam.
    »Also gut,« dachte er »sie meint es nicht schlimm.«
    Aber Clarisse näherte sich ihm wieder. »Warum machst du kein Dein-Jahr? Du hättest doch jetzt vielleicht die Macht dazu. Du darfst, das habe ich dir schon gesagt, Walter nichts davon erzählen und auch nichts von dem Moosbrugger-Brief. Überhaupt nicht, daß ich mit dir darüber spreche! Aber glaube mir, dieser Mörder ist musikalisch; er kann bloß nicht komponieren. Hast du noch nie beobachtet, daß jeder Mensch im Mittelpunkt einer Himmelskugel steht? Wenn er von seinem Platz weggeht, geht sie mit. So muß man Musik machen; ohne Gewissen, einfach wie die Himmelskugel, unter der man steht!…«
    »Und etwas Ähnliches sollte ich mir als mein Jahr ausdenken, glaubst du?«
    »Nein« erwiderte Clarisse auf alle Fälle. Ihre schmalen Lippen wollten etwas sagen, schwiegen aber, und die Flamme schoß stumm bei den Augen heraus. Man konnte nicht sagen, was in solchen Augenblicken von ihr ausging. Es brannte, wie wenn man etwas Glühendem zunahe gekommen wäre. Nun lächelte sie, aber dieses Lächeln kräuselte sich auf ihren Lippen wie zurückgebliebene Asche, nachdem der Vorgang in ihren Augen erloschen war.
    »Gerade so etwas könnte ich mir aber äußerstenfalls noch ausdenken« wiederholte Ulrich. »Nur fürchte ich, du meinst, ich soll einen Staatsstreich machen?!«
    Clarisse überlegte. »Also sagen wir, ein Buddha-Jahr« meinte sie, ohne auf seinen Einwand einzugehen. »Ich weiß nicht, was Buddha verlangt hat; nur so ungefähr; aber nehmen wir's einfach an, und wenn man es nun für bedeutend hält, dann sollte man es eben ausführen! Denn entweder verdient etwas, daß man daran glaubt, oder nicht.«
    »Na schön, gib acht: Du hast Nietzschejahr gesagt. Aber was hat denn Nietzsche eigentlich verlangt?«
    Clarisse dachte nach. »Nun, ich meine natürlich nicht ein Nietzschedenkmal oder eine Nietzschestraße« sagte sie verlegen. »Aber man müßte die Menschen dahinbringen, zu leben, wie – –«
    »Wie er es verlangt hat?!« unterbrach er sie. »Aber was hat er verlangt?«
    Clarisse versuchte zu antworten, wartete, schließlich erwiderte sie: »Na ja, das weißt du doch selbst…«
    »Gar nichts weiß ich« neckte er. »Aber eines will ich dir sagen: Man kann die Forderungen der Kaiser-Franz-Josef-Jubiläums-Suppenanstalt oder die des Schutzverbands der Hauskatzenbesitzer verwirklichen, aber gute Gedanken kann man so wenig verwirklichen wie Musik! Was das bedeutet? Ich weiß es nicht. Aber es ist so.«
    Er hatte jetzt endlich auf dem kleinen Sofa Platz gefunden, hinter dem Tischchen; dieser Platz war widerstandsfähiger als der auf dem Stühlchen. In der leeren Zimmermitte, gleichsam am anderen Ufer einer die Tischplatte verlängernden Luftspiegelung, stand noch immer Clarisse und sprach. Ihr schmaler Körper redete und dachte leise mit; sie empfand eigentlich alles, was sie sagen wollte, zuerst mit dem ganzen Körper und hatte beständig das Bedürfnis, mit ihm etwas zu tun. Ihr Freund hatte ihren Körper immer für hart und knabenhaft gehalten, aber jetzt, in dieser weichen Bewegtheit auf geschlossenen Beinen kam ihm Clarisse mit einemmal wie eine javanische Tänzerin vor. Und

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