Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
berühmten Freund ihres Hauses hergeführt habe, und wenn er auch als Ausländer nicht beanspruchen dürfe, in aller Form an den Sitzungen teilzunehmen, so bäte sie doch, ihn ihr persönlich als Ratgeber zu lassen; denn – und hier fügte sie sofort eine sanfte Drohung an – seine großen Erfahrungen und Beziehungen auf international kulturellem Gebiet und in den Zusammenhängen dieser Fragen mit denen der Wirtschaft seien für sie eine unschätzbare Stütze, und sie habe bisher allein darüber berichten müssen und würde wohl auch in Zukunft nicht so bald ersetzt werden können und sei sich trotzdem ihrer ungenügenden Kraft nur zu sehr bewußt.
Graf Leinsdorf sah sich überfallen und mußte sich zum erstenmal seit dem Beginn ihrer Beziehungen über eine Taktlosigkeit seiner bürgerlichen Freundin wundern. Auch Arnheim fühlte sich betreten, wie ein Souverän, dessen Einzug nicht gebührend geordnet worden ist, denn er war fest überzeugt gewesen, daß Graf Leinsdorf von seiner Einladung wisse und sie gebilligt habe. Aber Diotima, deren Gesicht in diesem Augenblick rot und eigensinnig aussah, ließ nicht locker, und wie alle Frauen, die in Fragen der Ehemoral ein zu reines Gewissen haben, vermochte sie eine unausstehliche weibliche Zudringlichkeit zu entwickeln, wenn es sich um eine ehrbare Angelegenheit handelte.
Sie war damals bereits verliebt in Arnheim, der in der Zwischenzeit einigemal bei ihr gewesen war, aber in ihrer Unerfahrenheit hatte sie keine Ahnung von der Natur ihres Gefühls. Sie besprachen miteinander, was eine Seele bewegt, die zwischen Fußsohle und Haarwurzel das Fleisch adelt und die wirren Eindrücke der Zivilisation in harmonische Geistesschwingungen verwandelt. Aber auch das war schon viel, und weil Diotima an Vorsicht gewöhnt und zeitlebens bedacht gewesen war, sich niemals bloßzustellen, kam ihr diese Vertraulichkeit zu plötzlich vor, und sie mußte sehr große Gefühle mobilisieren, geradezu schlechthin große, und wo findet man die am ehesten? Dort, wohin alle Welt sie verlegt: im historischen Geschehen. Die Parallelaktion war für Diotima und Arnheim sozusagen die Verkehrsinsel in ihrem anschwellenden seelischen Verkehr; sie betrachteten es als ein besonderes Schicksal, was sie in einem so wichtigen Augenblick zusammengeführt hatte, und es gab zwischen ihnen nicht die kleinste Meinungsverschiedenheit darüber, daß das große vaterländische Unternehmen eine ungeheure Gelegenheit und Verantwortung für geistige Menschen sei. Auch Arnheim sagte das, obschon er niemals anzufügen vergaß, daß es dabei in erster Linie auf starke, im Wirtschaftlichen ebenso wie im Bereich der Ideen erfahrene Menschen ankäme und dann erst auf den Umfang der Organisation. So hatte sich in Diotima die Parallelaktion untrennbar mit Arnheim verknotet, und die Vorstellungsleere, die anfangs mit diesem Unternehmen verbunden gewesen war, hatte einer reichen Fülle Platz gemacht. Es rechtfertigte sich die Erwartung, daß der Schatz von Gefühl, der im Österreichertum ruhe, durch preußische Gedankenzucht gekräftigt werden könne, auf das glücklichste, und so stark waren diese Eindrücke, daß die korrekte Frau kein Empfinden für den Gewaltstreich hatte, den sie unternahm, als sie Arnheim einlud, der gründenden Sitzung beizuwohnen. Nun war es zu spät, um sich eines anderen zu besinnen; aber Arnheim, der diesen Zusammenhang ahnend begriff, fand in ihm etwas wesentlich Versöhnliches, so unwillig ihn auch die Lage machte, in die er gebracht worden war, und Se. Erlaucht war im Grunde seiner Freundin viel zu wohlgesinnt, um seinem Erstaunen einen schärferen als den unwillkürlichen Ausdruck zu geben; er schwieg zu Diotimas Erklärung, und nach einer peinlichen kleinen Pause reichte er Dr. Arnheim liebenswürdig die Hand, wobei er ihn in der höflichsten und schmeichelhaftesten Weise so willkommen hieß, wie er es war. Von den andern Anwesenden hatten wohl die meisten den kleinen Auftritt bemerkt, und sie wunderten sich auch, soweit sie wußten, wer er war, über Arnheims Gegenwart, aber unter wohlerzogenen Menschen setzt man voraus, daß alles einen guten Grund habe, und es gilt als schlechte Lebensart, neugierig nach ihm zu forschen.
Inzwischen hatte Diotima ihre bildhafte Ruhe wiedergefunden, eröffnete nach einigen Augenblicken die Sitzung und bat Se. Erlaucht, ihrem Hause die Ehre anzutun, darin den Vorsitz zu übernehmen.
Se. Erlaucht hielt eine Ansprache. Er hatte sie schon tagelang vorbereitet,
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