Der Name der Rose
»Mein idealer postmoderner Schriftsteller imitiert nicht und negiert auch nicht seine Eltern im zwanzigsten noch seine Großeltern im neunzehnten Jahrhundert. Er hat die Moderne verdaut, aber er trägt sie nicht als bedrückende Bürde mit sich herum … Dieser Schriftsteller kann vielleicht nicht hoffen, die Verehrer von James Michener und Irving Wallace zu erreichen, um nicht von den durch die Massenmedien lobotomisierten Analphabeten zu reden, aber er müßte hoffen, wenigstens .hin und wieder ein breiteres Publikum zu erreichen als nur die Zirkel derer, die Thomas Mann die Urchristen, die Jünger der Kunst nannte. Der ideale postmoderne Roman müßte den Streit zwischen Realismus und Irrealismus, Formalismus und ›Inhaltismus‹, reiner und engagierter Literatur, Eliten- und Massenprosa überwinden … Die Analogie, die ich vorziehe, ist eher die zu gutem Jazz oder klassischer Musik: Beim Wiederhören und Analysieren der Partitur entdeckt man vieles, was einem beim ersten Mal noch entgangen war, aber beim ersten Mal muß einen das Stück so gepackt haben, daß man Lust bekommt, es wiederzuhören, und das gilt sowohl für die Spezialisten wie für die Nichtspezialisten …« So Barth 1980, als er das Thema erneut behandelte, diesmal aber unter dem Titel »Die Literatur der Fülle«.
Natürlich kann man das alles auch pointierter, polemischer und mit größerer Lust am scharfen Paradox sagen, wie es zum Beispiel Leslie Fiedler tut (in einer kürzlich auch bei uns veröffentlichten Diskussion zwischen ihm und anderen amerikanischen Autoren). 138 Fiedler will provozieren, das ist evident: Er lobt den Letzten der Mohikaner , die populären Abenteuerromane, die Gothic Novel, den ganzen von den Kritikern stets verachteten Plunder, der es gleichwohl verstanden hat, Mythen zu schaffen und die Bilderwelten von mehr als einer Generation zu bevölkern. Er fragt sich, ob je noch einmal so etwas erscheinen werde wie Onkel Toms Hütte , ein Buch, das mit gleicher Leidenschaft in Küche, Salon und Kinderzimmer gelesen werden kann. Er tut Shakespeare auf die Seite der guten Entertainer, zusammen mit Vom Winde verweht … Wir wissen, daß er ein viel zu subtiler Kritiker ist, um das alles wirklich zu glauben. Er will ganz einfach die Schranke niederreißen, die zwischen Kunst und Vergnügen errichtet worden ist. Er ahnt, daß ein breites Publikum zu erreichen und seine Träume zu bevölkern heute womöglich heißen kann, Avantgarde zu bilden; und er läßt uns dabei noch die Freiheit zu sagen, daß die Träume der Leser zu bevölkern nicht unbedingt heißen muß, sie zu besänftigen, mit versöhnlichen Bildern zu trösten. Es kann auch heißen, sie aufzuschrecken: mit Alpträumen, Obsessionen.
Der historische Roman
Seit zwei Jahren weigere ich mich, auf sinnlose Fragen zu antworten. Etwa die Frage, ob mein Werk nun ein »offenes« sei oder nicht. Wie soll ich das wissen, das ist doch nicht mein Problem! Mir genügt, was Harald Weinrich darauf geantwortet hat (im Merkur, Heft 1/1983). Oder die Frage, mit welcher von meinen Personen ich mich identifiziere. Mein Gott, womit identifiziert sich ein Autor? Mit den Adverbien, das ist doch klar.
Die sinnloseste aller sinnlosen Fragen war die jener Leute, die meinen, wenn einer aus alten Zeiten erzählt, wolle er aus seiner Gegenwart fliehen. Ob das richtig sei, fragen sie mich. Aber ja, gewiß doch, antworte ich. Manzoni erzählt vom 17. Jahrhundert, weil ihn sein eigenes nicht interessiert. Karl May berichtet von den Indianern seiner ureigensten Zeit, während Hebbel sich zu den Nibelungen davonmacht. Erich Segal engagiert sich in Love Story voll für die amerikanische Gegenwartsrealität, während Stendhal in seiner Kartause bloß alten Kram von vor zwanzig Jahren aufwärmt …
Müßig zu sagen, daß alle Probleme des modernen Europa, wie wir sie heute kennen, im Mittelalter entstanden sind, von der kommunalen Demokratie bis zum Bankwesen, von den Städten bis zu den Nationalstaaten, von den neuen Technologien bis zu den Revolten der Armen: Das Mittelalter ist unsere Kindheit, zu der wir immer wieder zurückkehren müssen, um unsere Anamnese zu machen. Aber man kann vom Mittelalter auch im Stil von Excalibur sprechen. Also ist das Problem ein anderes und bedarf der Klärung: Was kennzeichnet einen historischen Roman?
Ich glaube, man kann aus alten Zeiten auf dreierlei Weise erzählen. Eine ist die Romanze, im Sinne von englisch romance . Sie reicht von den keltischen
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