Der Pate von Florenz
Der Vater hatte unverhofft einer Ehe mit Fiora seinen Segen erteilt. Und das, nachdem er ihr wochenlang verwehrt hatte, Marcello am Krankenbett zu besuchen, wie er von der Mutter erfahren hatte. Als Fiora in der ersten Woche seiner schweren Krankheit täglich in ihrem Palazzo vorstellig geworden war und darum gebeten hatte, ihn kurz besuchen zu dürfen, hatte er ihr sogar ausdrücklich verboten, jemals wieder an ihre Pforte zu klopfen. Und nun diese ebenso wundersame wie wunderbare Wendung!
Der Vater gab ihm neuerdings ohnehin Rätsel auf. Innerhalb von Tagen schien er zu einem anderen Menschen geworden zu sein, fast zu einem Fremden. Marcello kannte ihn kaum wieder und nicht allein deshalb, weil sein bislang eisengraues Haar vor ein paar Tagen über Nacht schlohweiß geworden war. Ihr Vater war nie ein Mann vieler Worte gewesen, aber im Vergleich zu der Wortkargheit, die ihn auf einmal befallen hatte, war er früher geradezu geschwätzig gewesen. Zudem hatte Marcello den Eindruck, als hätte er von einem Tag auf den anderen auch seine aufrechte Haltung mit den stets straff gespannten Schultern und dem forschen Schritt eingebüßt. Er wirkte irgendwie eingefallen, ging stark nach vorn gebeugt und zögerlich. Und dann diese Anfälle von unerklärlicher Schwermut!
In den letzten drei Tagen hatte Marcello ihn zweimal so erlebt. Beim ersten Mal hatte der Vater früh am Morgen an seinem Bett gesessen, das andere Mal hatte er reglos am Fenster gestanden und in die Nacht hinausgeblickt. Und beide Male hatte er stumm geweint. Wie erstarrt war der Vater gewesen, während ihm die Tränen über die grauen Wangen geflossen und vom Kinn getropft waren. Dieser Anblick hatte ihn verstört und erschüttert und er hatte nicht gewagt, sich zu bewegen und zu erkennen zu geben, dass er nicht länger schlief, sondern wach war und ihn weinen sah.
Irgendetwas musste geschehen sein, dass der Vater sich so verändert hatte. Alessio vermutete, dass ihm noch immer die vielen schauerlichen Hinrichtungen auf der Piazza della Signoria und die entsetzlichen Ausschreitungen des wild gewordenen Pöbels nach dem Attentat im Dom nachhingen und dass er bestimmt schon bald wieder der Alte sein würde.
Marcello bezweifelte das. Er ahnte, dass nach dem, was sich am 26. April und an den darauffolgenden Tagen in Florenz ereignet hatte, nichts mehr so sein würde, wie es einst gewesen war. Und das traf auch auf sein Leben und das seiner geliebten Fiora zu, nachdem sein Vater der Heirat zugestimmt hatte. Und nach dem gestrigen Besuch von Lorenzo de’ Medici.
Der hatte sich für seinen Besuch ungewöhnlich viel Zeit genommen und ihm für seinen Mut gedankt und dafür, dass er im Dom nicht gezögert hatte, sein eigenes Leben für ihn aufs Spiel zu setzen. Es hatte ihn, Marcello, sehr viel Mut gekostet, sich daraufhin ein Herz zu fassen, Lorenzo von Fiora und ihrer heimlichen Tätigkeit als Goldschmiedin in den letzten Lebensjahren ihres Vaters zu berichten und ihn zu bitten, auf irgendeine Weise bei der Gilde zu erwirken, dass sie dieses Handwerk auch in Zukunft ausüben durfte, und zwar nicht hinter geschlossenen Türen und Schlagläden.
Marcello lachte leise auf, als er an die verblüffende Lösung dachte, die der Medici schon nach kurzem Überlegen gefunden hatte.
»Vieles steht in meiner Macht, aber selbst ich kann der Gilde nicht befehlen, eine Frau als Goldschmiedin anzuerkennen und in ihre Reihen aufzunehmen«, hatte Lorenzo gesagt, um dann mit einem hintergründigen Lächeln fortzufahren: »Aber ich kann dafür sorgen, dass dir ein Meisterbrief als Goldschmied ausgestellt wird, ohne dass du vorher eine Prüfung ablegen musst. Und wenn du bereit bist, dich als frisch gebackener Goldschmiedemeister in die Gilde eintragen zu lassen und die Werkstatt zu führen, dann kann ich die Gildenkonsuln mit einem Hinweis auf deine Verdienste um das Vaterland sicherlich dazu bringen, dass sie eine Ausnahme machen und eine weibliche Gehilfin in deiner Werkstatt dulden. Damit wäre allen Gesetzen Genüge getan.«
Wieder musste Marcello lachen, als er sich daran erinnerte. Natürlich war er sofort auf den Vorschlag des Medici eingegangen. Und nun konnte er es nicht erwarten, Fiora zu berichten, dass sie wieder als Goldschmiedin arbeiten durfte und dass sie fortan keine Angst mehr zu haben brauchte, entlarvt und für ihr Vergehen schwer bestraft zu werden. Und was würde sie bloß sagen, wenn sie hörte, dass er, der angebliche Meister, bei ihr in die Lehre gehen
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