Der Schatz des Ritters Hermelhain - Die Geisterreiter ; 1
wohl seinen eigenen Rekord gebrochen. Gleich am ersten Tag einen Anschiss zu bekommen, das hatte selbst er bisher noch nicht geschafft. Normalerweise hatte es immer drei bis vier Tage gedauert, bis er von einem der Ferienreiterhöfe verbannt worden war. Immer diese verdammten Regeln! Er hatte noch nie verstanden, was die bringen sollten. Und dass er mit diesem Pfadfinderfreak ein Zimmer teilen musste, war auch nicht gerade witzig. Als er dem die Hand gegeben hatte, hätte er ebenso gut in einen Teller Grießbrei greifen können, so schlaff war die, und Schweißfinger hatte er auch noch. Warmes Wasser gab es hier nur bis sieben Uhr morgens, Essen nur zu festen Zeiten, und ansonsten blieb die Küche zu, hatte Oma Maigrund bei ihrem Rundgang rigoros erklärt. Die schien hier so was wie die graue Eminenz zu sein: hatte die Führung des Hofes an ihre Tochter Susanne übergeben, aber zog im Hintergrund alle Fäden und wusste genau Bescheid. Na gut, der Stall sah gepflegt aus und das Reitzeug auch, aber bei den Pferden schien ihnen hier jemand zu fehlen, der ihnen mal ein bisschen half. Richtig blöd fand Tommy, dass er natürlich nicht Pegasus reiten durfte, sondern mit einem der Schulpferde vorliebnehmen musste. Einem langweiligen Braunen namens Anton.
Missmutig lümmelte er sich auf seinen Stuhl und wartete, bis die anderen Teilnehmer des hohen Gerichtes sich niedergelassen hatten. Mia saß ihm gegenüber. Sie wusste noch immer nicht, was sie von seiner Pegasus-Spring-Aktion halten sollte. Sich einfach ungefragt ein Pferd zu nehmen und dabei auch noch die minimalsten Grundregeln zu missachten, wie etwa vernünftige Reitkleidung zu tragen, das war schon ein starkes Stück. Andererseits imponierte ihr, dass er so gekonnt die Hindernisse nahm, und eines war ihr auch nicht entgangen: Er hatte einfach unheimlichen Spaß daran gehabt, und irgendwie war das ansteckend, das musste sie zugeben.
»Also, kurz und schmerzlos. Tommy, ich hab vor deiner Ankunft mit den Reitlehrern von einigen Reiterhöfen gesprochen, die du schon besucht hast. Dein Ruf ist dir vorausgeeilt, und alle sagen das Gleiche: Du hältst dich nicht an Regeln, reitest los, wann und auf wem du willst, und lädst dich selbst nachts in die Speisekammer ein«, fasste Susanne Tommys Strafregister kurz zusammen.
»Cool!«, entfuhr es Ben, der aufgeregt seine Brille zurechtschob, jedoch sofort verstummte und ganz konzentriert seine Fingernägel betrachtete, als er merkte, wie entgeistert die anderen ihn anstarrten.
»Es gibt ein paar Regeln, die hier für alle gelten, und ich möchte, dass du dir überlegst, ob du sie einhalten willst oder lieber die Ferien woanders verbringst.«
So hatte Mia Susanne noch nie erlebt. Okay, sie war eine resolute Frau und konnte mit zwanzig schnatternden Kindern genauso fertig werden wie mit einem wild gewordenen Hengst. Aber so ein Ultimatum, kaum eine Stunde, nachdem Tommy auf den Hof gekommen war, das war schon starker Tobak. Andererseits war sie eben sehr gewissenhaft, was man daran sehen konnte, dass sie Tommys Angaben zu früheren Reiterhoferfahrungen auf dem Anmeldebogen ernst genommen hatte. Mia hatte immer gedacht, dieser Abschnitt, den sie jedes Jahr zusammen mit ihren Eltern ausfüllte, sei eine reine Formalie und diene nur dazu, sich einen Überblick zu verschaffen, wer schon ein bisschen reiten könne und wer nicht. Jetzt wurde ihr klar, dass Susanne auch darauf achtete, wer hier überhaupt seine Ferien verbrachte. Dass Tommy trotz seiner Vorgeschichten herkommen durfte, war ein großer Vertrauensvorschuss.
»Dann fahr ich halt wieder nach Hause«, sagte Tommy und machte Anstalten aufzustehen.
»Das wirst du schön bleiben lassen«, dröhnte eine Stimme durch den Raum. Oma Maigrund kam herein und stellte mit Schwung ein großes Blech dampfende Pizza auf den Tisch.
»Mama, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunk …«, setzte Susanne an, aber die leckere Pizza machte alles zunichte. Peter nahm eben mit leuchtenden Augen das erste Stück von Oma Maigrund entgegen. Tommy saß so schnell wieder auf seinem Stuhl, wie er eben aufgestanden war, und schon war die ernste Stimmung dahin. Jetzt griffen alle zu und ließen sich die dick belegte Pizza schmecken.
»Die is wirklich gut!« Tommy nickte Oma Maigrund zu, wobei die Ketten an seinem Hals klapperten.
»Gut war auch deine kleine Aufführung«, erwiderte Oma Maigrund. »Wir sind dieses Jahr weniger als sonst, da kann ein bisschen Schwung nicht schaden.«
»Wir
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